von Jordan Kouto
Als der Amerikaner Frederick Olmsted im 19. Jahrhundert seine Karriere als Landschaftsplaner startete, beschrieb er die verschiedenen Hoffnungen, wie die Gesellschaft durch Parkanlagen beeinflusst und verbessert werden könne. Olmsted war der erste, der verschmutzte städtische Luft und die zunehmende Bevölkerungsdichte als eine mögliche Ursache von psychischen Problemen der Stadtbewohner bezeichnete. Er dachte, dass Grünräume den Stress des städtischen Lebens auflösen könnten. Das Raster der Grossstädte betrachtete Olmsted als Symbol der Ausbeutung des Landes und der Leute in Namen der maximalen Effizienz, was zu Monotonie und einer geradezu würgenden Luftlosigkeit und Dunkelheit der Städte führe. Olmsted hatte keine Zweifel daran, dass die Natur die Lösung für diese Probleme bereithalte.
Die Natur hat den Menschen schon immer eine Heimat und eine Fülle an Materialien geboten. Seit Jahrtausenden bauen wir Häuser, Villen oder Paläste. Früher, zu Zeiten unserer Eltern und Grosseltern, war Bauen weitgehend ein handwerkliches Gewerbe. Heute ist es fast zu einem industriellen Prozess geworden. Neue Technologien mögen entwickelt worden sein, aber die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse sind dieselben geblieben. Wir brauchen frische Luft, sauberes Wasser, Energie und Nahrung.
Doch in unserer komplexen und schnelllebigen Welt kann unseren Bedürfnissen an den Wohn-, Schlaf- und Arbeitsraum kaum durch ein paar Wände und ein Dach über dem Kopf Rechnung getragen werden. Wir haben uns weiterentwickelt und unsere Bedürfnisse haben sich verändert, während gleichzeitig der Umwelteinfluss des Bauens stetig zunimmt. Aus heutiger Perspektive können wir feststellen, dass Neubauten tatsächlich einiges dazu beigetragen haben, dass der Mensch die Verbindung zur Natur verliert – sei es durch die Industrialisierung des Bauwesens, die technischen Fortschritte der Materialien wie Glas, Beton und Stahl – oder einfach nur durch die immer grösser werdende Fläche an Innenraum. Je mehr Wohlstand, desto weniger halten wir uns scheinbar draussen auf: Wir wohnen in einem Einfamilienhaus, verlassen es mit dem Auto durch die Garage und bauen Zäune, um unseren Besitz zu schützen.
Begriffe wie »Natur« und »natürlich« werden in der Architektur verwendet, egal, ob es sich bei den Natur-Analogien um geometrische Systeme, Proportionen, biomorphe Formen, Wirtschaftlichkeit, Systemdenken oder natürliche Werkstoffe handelt, die den Entwurfsgedanken lenken sollen. In solchen Beispielen drückt sich das entfremdete Naturverständnis der Moderne aus: Im Biotekton-Wolkenkratzer tritt man einer Natur gegenüber, die als solche nicht erkennbar ist. Ironischerweise betont diese Naturästhetik nur die technische Unterwerfung der Natur. Eine mögliche Antwort auf diese Herausforderung ist eine gesamtsinnliche, von Oberfläche, Werkstoff, Farbe, Licht, Gewicht und Ton ausgehende Architekturerfahrung.
Öko- und Null-Energie-Häuser sind zweifelsohne wichtige Ergebnisse für die Achtung der Natur. Sie gehen von der Annahme aus, dass Natur als Ressource geschont werden muss. Dadurch ergibt sich jedoch keine Naturästhetik, auch wenn die Hüllen von energiebewussten Bauten ästhetisch ansprechend sein mögen. Es ist wie beim Funktionalismus. Das Missverständnis, dass ein perfekt funktionierendes Haus in einem beliebigen Stil gebaut werden kann, hielt sich lange.
Eine auf Naturästhetik basierende Architektur braucht die Einsicht, dass Natur eben nicht nur physisch, sondern auch als sinnliche Erfahrung existiert. Menschen setzen sich kaum für Umwelt und Klimaschutz ein, wenn sie nicht selbst starke Naturerfahrungen gemacht haben. In einer zubetonierten Landschaft kann jedoch kein Bezug zu Natur und Umwelt entstehen. Jede begriffliche Trennung von Mensch und Natur unterschlägt, dass der Mensch selbst auch Natur ist: »Solange ich selbst mit der Natur identisch bin, verstehe ich, was eine lebendige Natur ist, so gut, als ich mein eigenes Leben verstehe. Sobald ich mich aber von der Natur trenne, bleibt mir nichts übrig als ein totes Objekt und ich höre auf, zu begreifen, wie ein Leben ausser mir möglich sein kann«, schreibt Friedrich Wilhelm Joseph Schelling in seinem Buch »Existenz Denken«. Die Sensibilisierung der Bevölkerung für den gestalteten Lebensraum, insbesondere die Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen ist daher eine wichtige Aufgabe der Allgemeinbildung. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass das beste baubiologische Haus wohl ein Haus ist, das nie gebaut wird.
Für dieses Umdenken braucht es viel Mut, Überzeugung und Liebe – nicht nur zur Natur, sondern auch zur Nachbarschaft, zu den Mitmenschen und zu unserer Zukunft. Leben und Bauen im Einklang mit der Natur ist ein erklärtes Ziel der Baubiologie. Wir müssen Bauten planen, die sich in die Umwelt, Natur und ihre Kreisläufe integrieren. Es genügt nicht, konventionell zu bauen und anstelle der Schaumstoffdämmung eine Holzfaserdämmung zu verwenden. Die konventionelle Bauweise zeigt uns, dass wir beim Bauen unsere ursprüngliche Beziehung zur Natur grösstenteils verloren haben. Doch gerade in diesen unsicheren Zeiten können wir beobachten, dass viele Menschen Zuflucht, Ruhe und Erholung in der Natur suchen und finden.
Eine mögliche Lösung kann das Wohnen in einfacheren und kleineren Gebäuden mit mehr Aussenraum sein. Minimales Wohnen führt automatisch zu Gedanken über uns selbst und unsere Position in der Welt. In der heutigen Zeit bleibt für unser individuelles Wohlergehen das grösste Problem, ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Notwendigkeit, ökologischem Bezug zur Umwelt und sozialer Struktur zu finden. Das exakte Beobachten, das Erkennen von Zusammenhängen sowie der achtsame Umgang mit der Umwelt sind denn auch zentrale Elemente der Permakultur. Die Idee, die dahintersteckt, ist eigentlich ganz einfach: Wenn wir sorgsam mit der Erde umgehen, sorgt sie für uns. Wenn wir etwas an der Baukultur ändern wollen, sollten wir nicht auf Gesetzesänderungen, neue Normen und Richtlinien warten, sondern einfach unsere Bauprojekte mit diesem Umdenken verbinden.