von Joscha Boner
Gehört hat man vielleicht schon mal etwas von Ginkgo oder Moringa. Von ihnen wird das Laub zum Würzen und Heilen verwendet. Unsere einheimischen Bäume haben mindestens genau so viel zu bieten. Das wussten schon die Kelten und Germanen. Der Wald war Lebensraum und Nahrungsgrundlage unserer indoeuropäischen Vorfahren. Er bot Bauholz, Tierfutter, Medizinalkräuter und -pilze, Faserstoffe, vitaminreiches Wildgemüse, eine Verbindung zur feinstofflichen Welt und eben das wertvolle Laub. Die Blätter von Bäumen wurden als Einstreu (Falllaub) und als Winterfutter (meist getrocknet oder siliert) für die Tiere gesammelt.
Es gab sogar Bäume, oft Ahorne oder Linden, die eigens für die Laubfuttergewinnung beschnitten wurden. Das nannte man Schneiteln. Diese Schneitelbäume kann man noch heute an ihrer etwas asymmetrischen Form in der Landschaft erkennen. Die Äste mit den grünen Blättern wurden in einem überdachten Raum getrocknet, der sogar in unserer Zeit noch Laube genannt wird. Unsere Ahnen erkannten die vielen Vorteile des Baumgrüns für sich selbst. Laub war in zahlreichen Kulturen Europas ein fester Bestandteil der Ernährung. Laubmehl streckte das Brot, Blätter füllten Matratzen oder fanden in der Hausapotheke Anwendung. So bilden z. B. Birkenblätter weiterhin die Basis vieler Nieren-Blasentees.
Es gab Wälder, die regelrecht ausgefegt wurden. So wertvoll war das Laub. Der Boden verarmte mit der Zeit und begünstigte die Entstehung von Lebensräumen wie Orchideen-Kiefernwäldern. In Ost- und Südeuropa verwenden Menschen die Blätter der Weinrebe (ebenfalls eine Waldpflanze) zum Einwickeln von Reis, Bohnen oder Fleisch. Stellvertretend für die vielen Vorteile von Blättern als Speiselaub, hier einige kulinarische Baumhighlights, die ich in meiner eigenen Naturküche verwende:
Buche
Die Buche ist ein mächtiger und präsenter Baum in den Mischwäldern. Sie bietet Nahrung, Bauholz und: Salat! Ihr botanischer Name Fagus sylvatica wurde ihr aufgrund eines Missverständnisses gegeben, meiner Meinung nach. Fagus salatica würde den wunderbaren Geschmack als Salatgrün im Frühjahr viel eher beschreiben. Die jungen Blätter sind noch sehr zart und überhaupt nicht bitter. Sie entzücken mit einer leichten Zitrusnote. Ausserdem ist der Buchensalat vor den meisten Salaten reif. Schnecken fressen ihn nicht und viel mehr Mineralstoffe hat er noch dazu.
Linde
Auch sie ist ein fantastischer Salatbaum. Die Blätter sind riesig und noch bis in den Juni hinein als Salat geniessbar. Danach werden sie für den zarten Zivilisationsmagen etwas (und ich betone nur etwas) zu hart. Härter, aber nicht bitter! Als Lindenblattsalat, Pesto, Spinatersatz und das junge Laub als Smoothiegrün, so kommt die Linde bei mir auf den Teller und in den Mixer. Sommer- und Winterlinden sind beide verwendbar.
Ginkgo
Zwar kein einheimischer Baum per se, aber fantastisch im Geschmack, schön als Dekoration und hilfreich bei … was war das noch mal … ah ja, Gedächtnisschwierigkeiten.
Birke
Junge Birkenblätter haben ebenfalls ein angenehmes Aroma, bilden aber im Alter Saponine (Seifenstoffe) aus, die sie etwas bitter machen. Diese Seifenstoffe helfen uns wiederum bei der Entwässerung und Reinigung von Blase und Nieren. Ausserdem kann man mit ihnen eine Seifenlauge herstellen, mit der sich’s gewaschen hat!
Haselnuss
Auch das Hasellaub wirkt fantastisch in Gerichten oder als Tee gegen Husten.
Fichten- und Tannen
Wirken nicht nur gegen Erkältung. Ihr Geschmack gibt dem Gericht eine leicht säuerlich/harzige Note. Die jungen Austriebe (Tannenwipfel) sind richtige Vitamin C-Bomben. Also den nächsten Tannenbaum nur wegwerfen, wenn er nicht bio ist. Andernfalls wünsche ich guten Appetit! Bitte nicht die Nadeln der Eibe (Taxus baccata) verspeisen, die haben zwar auch Heilkräfte, doch sind diese so hoch dosiert, dass man sich danach – im Jenseits – definitiv nicht mehr um Krankheiten kümmern muss, sie sind hochgiftig.
Kirsche
Die Blätter der Vogel-/Gartenkirsche (Prunus avium) haben ein leichtes Bittermandelaroma. Ich verwende sie zum Würzen und manchmal als grünen Snack, wenn ich sowieso auf der Jagd nach den süßen Früchten im Juni bin; ein Smoothie-to-Go, quasi.
Maulbeere
Zwar nicht ur-einheimisch, aber seit den frühen Anfängen der Seidenspinnerei im Mittelalter auch hier angebaut. Die Früchte der Maulbeere sind nicht nur sehr lecker, auch ihre Blätter haben ein unglaublich feines Aroma und eignen sich wunderbar als Blattgemüse.
Bis auf Goldregen, Robinie, Liguster, Pfaffenhütchen und Eibe sind alle »einheimischen Baumarten« essbar, aber nicht durch die Bank kulinarisch interessant. Vor dem Probieren ist es wichtig, sie immer sicher zu bestimmen! Ich wünsche viel Spaß beim Sammeln, Forschen und Ausprobieren. Knabbert doch mal am Blattwerk eurer Wildobsthecke, die Nachbarn werden über den Anblick sicherlich staunen.