Architektur trifft Permakultur

Wieviel Platz brauchen wir wirklich? Und wie kann dieser Platz bestmöglich genutzt werden?


Intensive und extensive Dachgärten gleichen ökologisch die versiegelte Fläche aus.

Wohnraum in Ballungsgebieten wird immer knapper. Doch nicht nur im urbanen Raum sollte das Ideal vom Einfamilienhaus mit englischem Rasen zum Auslaufmodell werden. Zu viel Energie, zu viele nicht erneuerbare Ressourcen und zu viel versiegelte Flächen pro Bewohner. Im Sinne des Fair Share müssen wir uns die Frage stellen: Wieviel Platz brauchen wir wirklich? Und wie kann dieser Platz bestmöglich genutzt werden? Lösungen wie Tiny-Häuser, Gebäude aus erneuerbaren oder recycelten Materialien, Ökodörfer, Cohousing-Konzepte und Clusterwohnungen mit kleinen Modulen und grossen Gemeinschaftsräumen sind einige Beispiele für sozial, ökonomisch oder ökologisch enkeltaugliches Wohnen.

Permakulturelle Prinzipien können fachübergreifend dabei helfen, diese drei Säulen sorgsam zu verbinden. Drei Projekte aus dem Grossraum Zürich, völlig unterschiedlich in Grösse, Ansatz und Anwendung der Prinzipien, zeigen beispielhaft, wie vielfältig diese Lösungen aussehen können und dass sie nicht nur Experimentierfeld einer alternativen Bewegung, sondern längst auf dem Weg zu einem mehrheitstauglichen Alltag im Bauwesen sind.

Beispiel Mehrfamilienhaus: die Verbindung von Außen und Innen

Beim Projekt »In den Bäumen« gehen Architektur und Landschaftsgestaltung Hand in Hand. Die neun Wohneinheiten umfassende Siedlung wurde 2021 mit dem Binding Innovationspreis ausgezeichnet, weil sie »mit einem ganzheitlichen Ansatz Biodiversitätsförderung mit vielfältigen Aspekten nachhaltigen Bauens und einem Community-Building seiner Bewohnerinnen und Bewohner verknüpft«, urteilt die Jury.

»Der Planungsprozess wurde über eine gemeinsam formulierte Guideline und unterschiedliche Module erarbeitet«, erzählt der angehende Permakultur-Designer Ramon Grendene, der für dieses Projekt mit dem Architektenbüro Osterhage Riesen zusammenarbeitete. Wie der menschliche Organismus bestehe ein Permakultur- System aus zusammenwirkenden System-Bausteinen, den Elementen, heisst es in der Guideline: »Je nach naturräumlicher Gegebenheit, lokalem Wissen und eigener Erfahrung tragen verschiedene Elemente zur Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten und harmonischen Integration von Architektur, Landschaft, Menschen und Tieren bei.«

Aus permakultureller Sicht seien in diesem Bauprojekt übergeordnete Überlegungen eingeflossen, z.B. wie das einfallende Licht bestmöglich gespeichert oder wie mit dem Ortlehm aus dem Aushub gebaut werden könne. Weitere fachliche Schnittstellen von Architektur und Permakultur-Design waren die Ausgestaltung der intensiv und extensiv bepflanzten Dachgärten, die Vertikalbegrünung und die Umgebungsgestaltung als Raum für Erholung, Biodiversität und Nahrung für Mensch und Tier. Elemente wie Wildhecken, Ruderalflächen, Teiche und Förderzonen für Insekten schaffen auf einer beschränkten Gesamtfläche vielfältige Lebensräume.

Bemerkenswert ist die Verwendung von eigens dafür entwickelten Pflanzenkohlen-Drainagen in Verbindung mit unterschiedlich gemischten Schwarzerden-Substraten aus der gelenkten mikrobiellen Kompostierung. »Im Bereich der Dachgärten lassen sich damit die üblicherweise verbauten Kunststoff-Drainagen und Vlies-Bestandteile vermeiden. In den Gärten tragen die hochwertigen Schwarzerden zur aktivsten regenerativen Bodenbelebung bei und sind daher ein Schlüssel für den Aufbau von Landschaften mit dem Ziel der organischen Dauerfruchtbarkeit«, so Grendene.

Doch damit aus der Gestaltung kein Konsumprodukt wird, sondern von den Bewohnern aktiv mitgetragen werden kann, begleitet Grendene das Projekt auch nach dessen Fertigstellung 2020. Mit Treffen, Arbeitseinsätzen und Workshops werden Mieter und Eigentümer in die Umgebungsgestaltung und -pflege einbezogen. So lernen sie, das Potenzial ihres Gartens zu nutzen, zu fördern und weiterzuentwickeln. Über das gemeinsame Erleben des Aussenraums kann darüber hinaus auf sozialer Ebene auch der Zusammenhalt im Innern der kleinen Siedlung gestärkt werden.

Beispiel Wohnsiedlung im urbanen Raum: Biodiversität mit geringem Unterhalt

Eine erfolgreiche Verbindung aus Permakultur-Design und städtebaulicher Planung zeigt ein Investorenprojekt in Kloten. Dort werden in einem dicht bebauten Quartier ein bestehendes Gebäude teilsaniert und ein Ersatzneubau mit 30 Mietwohnungen gebaut. Das Projekt »TP2« will zeigen, dass sich mit einer effizienten Planung und Umsetzung biodiversitätsfördernde Landschaften auch für kostenorientierte Investoren rechnen können. Durch Wiederverwendung von bestehenden Ressourcen, Verkopplung und Wiederverwendung von Materialien im Bauprozess, mikrobiell hochbelebten Erden, grossflächigen Ruderalzonen, einer automatisierten Regenwassernutzung sowie der Auswahl von mehrjährigen Wildsorten soll eine natürliche Umgebung entstehen, die mit geringem Unterhalt auskommt: »Eine gesamthaft förderliche Atmosphäre, die allen Lebewesen – Mietern, Tieren und Insekten – zugutekommt«, fasst Ramon Grendene zusammen, der auch hier die permakulturelle Planung übernimmt.

Setze die Permakultur neue Standards, wo Finanzkraft auf grosse Flächen treffe, dann könne sie richtig was bewegen, ist der Gestalter überzeugt. Wenn biodiversitätsfördernde und essbare Landschaften kosteneffizient funktionieren und man damit die Investoren überzeugen könne, dann sei auch die Frage geklärt, welche Landschaften grossflächig gebaut werden sollten, so Grendene: »Natürlich lebendige!«

Beispiel Mikrohaus auf dem Land: geschlossene Kreisläufe

In diesem Forschungsprojekt der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaft (ZHAW) stehen vor allem die technologischen Lösungen für nachhaltigeres Wohnen im Fokus. Erstaunlich ist dabei vor allem die Verbindung der vielen beteiligten Firmen und lokalen Akteure, die in einer Art kreativer Best-Practice-Gemeinschaft Strategien erarbeiteten, um möglichst viele Energiekreisläufe zu schliessen. Initiiert wurde das Projekt von der Umweltwissenschaftlerin Devi Bühler.

Acht Jahre brauchte es von ihrer ersten Idee bis zur Einweihung des KREIS-Hauses 2021 in Feldbach bei Zürich. KREIS steht dabei für Klima- und Ressourcen-Effizientes Suffizienz-Haus. Der Name deutet schon darauf hin, dass hier die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft im Mittelpunkt stehen. »Wir haben versucht, diese Prinzipien bis ins Detail und auf kleinstem Raum umzusetzen«, erzählt Bühler. Alle Teile seien so verbaut, dass sie am Ende wiederverwendet oder recycelt werden können. Der nährstoffreiche Boden auf der Baustelle wurde beispielsweise für den Dachgarten verwendet oder in der Umgebung des Hauses integriert. Die Vollholzkonstruktionen wurden ohne Schrauben oder Leim verbunden, Holzfenster und Türen aus einem lokalen Abbruchhaus wiederverwendet.

Zwei der Fenster sind mit einem sogenannten SunPattern-Glas versehen, das das Sonnenlicht dank der speziellen Geometrie im Winter in den Innenraum lässt, aber im Sommer verschattet und vor Überhitzung schützt. Hanfwolle als Dämmmaterial, Weinkorken im Boden, recyceltes Glas in den Badmöbeln… die Liste der umgesetzten Ideen ist lang. Und nicht nur der Bauprozess, auch das Leben im KREIS-Haus soll möglichst nach dem Kreislaufprinzip funktionieren.

Das zentrale Element der 40 Quadratmeter grossen Wohneinheit ist der multifunktionale Wintergarten. Er liefert die warme Luft zum Heizen und zur Warmwassererzeugung, bietet aber gleichzeitig Wärme- und Schallisolation für den eigentlichen Wohnraum und produziert Solarstrom, der in recycelten Akkus aus alten Postfahrzeugen gespeichert wird. Regenwasser wird gespeichert, mittels Filtern zu Trinkwasser aufbereitet und kommt nach dem Gebrauch in Küche und Dusche im oberen Stock als Giesswasser im Gemüsebeet zum Einsatz. Dank einer Trockentrenntoilette fällt kein Abwasser an. Urin und Fäkalien werden zu Dünger und Kompost verarbeitet und kommen bei der Pflanzenkultivierung zum Einsatz. Im unteren Teil des Wintergartens wurden platzsparende vertikale Hydroponik-Gärten angelegt, in denen Pflanzen ohne Erde in einer Nährlösung wachsen können.

Sollte das KREIS-Haus irgendwann einmal nicht mehr gebraucht werden, kann es einfach rückgebaut und komplett wiederverwendet werden. Das betonlose Schraubfundament beeinträchtigt die Bodenstruktur erheblich weniger als ein herkömmliches Haus mit Betonfundament. Der Standort kann so ohne Rückstände wieder von der Natur übernommen werden. Als wäre nie etwas gewesen. Bis es aber so weit ist, steht das Haus Besuchern offen und kann sogar zum Probewohnen reserviert werden. Die Wissenschaftler erhoffen sich dadurch neue Erkenntnisse, wie zukunftsfähiges Wohnen praktisch gelebt werden kann.

Systemische Verbindungen fördern

Die hier beschriebenen Projekte sind als Neubauprojekte nicht für alle geeignet und zeigen, dass es keine verallgemeinerbare Lösung gibt. Aber gerade weil die ökologischen Folgen des Baubooms von allen getragen werden müssen, ist es erstrebenswert, dass permakulturelle Prinzipien und systemisches Verantwortlichkeitsdenken im Bauwesen einfliessen. Die hier beschriebenen Strategien können zum Beispiel auch wenig kostenintensiv bei der Umgestaltung vorhandener Gebäude genutzt werden und so im Sinne eines Fair Share und damit des Konsumverzichts auch dazu beitragen, die Wildniszone (Zone 5) so gross und unseren Fussabdruck so klein wie möglich zu halten.

Ramon Grendene stellt diese unter Anwendung der zwölf permakulturellen Gestaltungsgrundsätze entwickelten Module gerne allen zur Verfügung, die diese Ziele erreichen möchten. Sie können je nach Lage, Grösse und verfügbaren Mitteln angepasst werden:

  1. Ressourcenmanagement/Recycling: möglichst viele natürliche und brauchbare Materialien aus dem Rückbau wiederverwenden.
  2. Wassermanagement: Wasser als lebensspendende Energie wahrnehmen, die möglichst lange auf dem Grundstück gehalten werden sollte. Einplanung einer durchdachten Regenwassersammlung mit von Frischwasser getrenntem Leitungssystem für Spülung, Waschmaschine, Bewässerung des Gartens.
  3. Südseitige Ausrichtung: einströmende Sonnenenergie in kaltgemässigter Klimazone bestmöglich nutzen.
  4. Grundversorgung: individuelle Rückzugs- und Anbauzonen zur Versorgung von Küchenkräutern und Frischgemüse mit funktionaler Bewässerung
  5. Vertikalgärten: Seile und Fassadengrids für Vertikalgewächse und Spalierobst einplanen. Organische Beschattung der warmen Südseite, lebendige Fassaden.
  6. Grüne Aus- und Eingänge: grüne sinnesgeladene Oasen schaffen, Verbindungstrakt als Gewächshaus ausbilden, Gebäude durch grünen Gürtel verbinden.
  7. Grüne Dächer: Dachflächen begrünen; Ruderalstandorte, Sedumgewächse und Nützlingsbiotope einplanen.
  8. Abfallmanagement: Entsorgungssystem für Rüstabfälle, Bewusstsein der Bewohner für die Rückführung von Nährstoffen vor Ort fördern, Kompostierung, Erdenherstellung
  9. Energie/Rohstoffe: vorhandene Energie nutzen, baubiologisch durchdachte Materialien und örtlich vorhandenes Baumaterial verwenden
  10. Sozialer Kontext: Soziale Organisation der Bewohner, Projekt in die Nachbarschaft und das regionale Food-System einbetten, Siedlungsversorgung mit Grundnahrungsmitteln bei Reduktion von Fahrkilometern und Abfall, Öffentlichkeitsarbeit und Visibilität.

Als Vision könnte so zum Beispiel aus einem einfachen Altbau ein Mehrgenerationenhaus mit bedürfnisgerechten Wohnräumen entstehen, das mit einem Dachgarten die dafür versiegelte Grundfläche ausgleicht, die dritte Dimension und die verschiedenen Mikroklimazonen für den Anbau von Lebensmitteln nutzt, sich ästhetisch bestmöglich in die gegebene Landschaft einfügt, die Biodiversität fördert, Ressourcen und Energien effizient nutzt und die Vernetzung seiner Bewohnerinnen und der Nachbarschaft fördert.

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