Zen im Alltag, Spurlosigkeit und Captain Kirks Langeweile

Langeweile im Weltraum? Wir Menschen sind eine anspruchsvolle Spezies. Das es auch anders funktionieren müsste, anders gehen könnte erklärt Jürgen Windhorn in diesem Betrag.


Eine der Methodiken im Zen-Training, die uns zu mehr Selbstgewahrsein und Selbsterkenntnis im Alltagsleben führen soll, ist die Praxis der sogenannten Spurlosigkeit. Dazu gehört, dass nach dem Essen, traditionell mit Schalen und Stäbchen, das eigene „Geschirr“ noch am Tisch, als Teil einer vollständigen Mahlzeit, von jedem selbst gereinigt und zu einem hübschen Päckchen gebündelt wird. Es befindet sich dann wieder genau in demselben Zustand wie zu Beginn der Mahlzeit.

Und der Küchenabfall kommt auf den Kompost - traditionell, jedenfalls in der Soto-Tradition, vom leitenden Mönch dorthin getragen - und der Kompost wird im nächsten Jahr wieder zu guter Gartenerde verarbeitet, aus der dann die Köche wieder ihre Zutaten ernten.

Das Leben eines mit sich selber und der Welt in Harmonie existierenden Mönches hinterlässt keine unnötigen Spuren. Sein Fußabdruck - sein ökologischer - ist von einer Größe, mit der die Natur gut fertigwerden kann. Ein solches Leben ist auch im industrialisierten Teil dieser Welt kein Wunschtraum, in wenigen - ganz wenigen - Ecken dieser Welt wird so gelebt, und zwar bewusst und freiwillig. Dieses Leben mit einem ökologisch verträglichen Fußabdruck, jenseits der Industriegesellschaft mit ihrer inhärenten Steigerungsdynamik, ist tatsächlich erlebbar, zum Beispiel in der Gemeinschaft der Arche in Südfrankreich. Dort wird gezeigt, dass es nicht nur möglich, sondern sogar teils ästhetisch ansprechend sein kann (ich habe es mir angesehen) … - aber es ist auch verdammt hart und vor allem eins: langweilig.

Sogar Captain Kirk empfindet das dauernde Leben im Weltall, so lernen wir im neuen Star Treck Film, ‚Beyond‘ (Justin Lin, 2016), in dem er mit sein Raumschiff Enterprise im dritten Jahr seiner fünfjährigen Mission unterwegs ist, „a little episodic“, zu Deutsch: es ödet ihn an.

… to boldly go …

Langeweile im Weltraum? Menschen sind eine anspruchsvolle Spezies. Nachdem diese Lebensform im letzten halben Jahrhundert, wir sprechen jetzt wieder von der Gegenwart und vom Leben auf der Erde, in den Industrienationen ihre Produktion und ihre Konsumtion mindestens verdreifacht und ihre Mobilität verzigfacht hat, sind die Menschen vor allem eines: unzufrieden. Die Menschen - wir - wollen mehr. Wir wollen unser Leben schöner machen. Und die Idealisten unter uns wollen dann auch auch noch das Leben von allen anderen Menschen schöner machen. Das geht, innerhalb der Industriegesellschaft wie sie im Moment ist, nur auf Kosten der Ressourcen und produziert Emissionen. Denn: Etwas anderes als mehr Produktion, mehr Konsumtion, mehr Komfort und mehr Mobilität - etwas substantiell anderes - fällt uns nicht ein, wenn wir unsere Unzufriedenheit bekämpfen und das Leben schöner machen wollen. So, wie es ist, ist es jedenfalls nicht genug. Oder langweilig. „Je weiter unsere Reise geht“, sinniert Captain Kirk im Kino aus dem Off, „desto dringlicher frage ich mich, was wir eigentlich erreichen wollten“. Tja. Und dann analysiert der Schiffsdoktor das Problem seines Captains und kommt zum Schluss, dass dieser immer nur versuchte, wie sein Papa zu werden, aber jetzt anfängt, sich zu fragen, wie es wäre, er selber zu sein. … Wir können die Problematik der Weltverbesserung und Welteroberung, also des Versuchs, das Leben auf einem Raumschiff - oder auf einem Planeten - immer noch schöner machen zu wollen, letztendlich nicht trennen von den alten, uralten Fragen nach unserem eigenen Selbstverständnis. Vor diesen Fragen entfliehen zu wollen, und sei es dorthin, „where no man has gone before“, wie es schon im Intro zur alten Enterprise TV-Serie hieß, hilft nichts. Das muss sogar Captain Kirk lernen.

Im Kino folgt auf die Deklaration der Langeweile des Helden und einem kurzen New-Age konformem psychoanalytischen Einschub von wegen der Selbstfindung, dann natürlich wieder die übliche Unterhaltung. Die Enterprise wird, wieder einmal, angegriffen und zerstört und die Crew muss sich unter den widrigsten Umständen behaupten. Das unterhält uns einigermaßen und lenkt uns für eine Weile von den anfangs gestellten Fragen ab. Aber die bloße Selbstbehauptung, wenn sie einfach nur die ganz alltägliche Selbsterhaltung bedeutet, und nicht den bildgewaltigen Kampf gegen anscheinend überlegene Gegner, ist eben nicht unterhaltsam.

Die Dinge, die uns begeistern, gut unterhalten und im Wesen angehen, sind wesentlich Überschuss über das bloß Lebensnotwendige hinaus. In diesem Sinne: Exzess. Das meint nicht Party bis zum Umfallen, sondern: Abenteuer, Kunst, Grundlagenwissenschaft, Erotik, Fantasie, gute Unterhaltung, Poesie. Man muss aber gar nicht bis zu solchen Höhen, wie dem Verfassen von Poetik gehen, schon ein Gespräch über die Gestaltung eines Steingartens ist in diesem Sinne Exzess. Die pure Erhaltung des Bestehenden, die reine „Nachhaltigkeit“, enthält aber null Exzess. Und selbst das Abenteuer und der Kampf ums Überleben, wenn es immer das gleiche ist und der Kampf immer aufs Gleiche hinausläuft, beginnt sich, wie ein Hamsterrad, auf der Stelle zu drehen und lässt uns irgendwann leer und im Kern unbefriedigt zurück.

We change. We have to.

Wir müssen uns verändern“, philosophiert Captain Kirk gegenüber dem rachedurstigen Schurken des Films, schon wieder New-Age konform, „sonst kämpfen wir immer wieder nur dieselben Schlachten“. Aber dann stürzen sich die beiden doch wieder in den obligatorischen finalen Faustkampf, der sich von denjenigen im guten alten Western eigentlich nur dadurch unterscheidet, dass hier, im Weltraum, die Schwerkraft verrückt spielt. Nachdem dann Kirk, wie gewohnt und wie immer mit Hilfe seiner Crew, den Schurken besiegt und ins Vakuum befördert hat, entschließt er sich doch wieder mit einer neuen Enterprise auf Abenteuer zu gehen. Und zwar in eine besonders düstere und gefährliche Ecke des Universums. Was dem Schiffsdoktor, dem Bedenkenträger der Enterprise, Gelegenheit gibt, wie gewohnt zu jammern. „Oh, nein! Doch nicht etwa dorthin, wo wir jederzeit Gefahr laufen, von unsichtbaren Meteoriten durchlöchert und von Weltraumbakterien bei lebendigem Leibe gefressen und von exotischen Viren in schreckliche Mutationen verwandelt zu werden?“ Worauf Kirk begeistert entgegnet: „It’s going to be so much fun“. Und dann, vor dem Abspann, kommt die klassische Formel der Anti-Nachhaltigkeit: „… to boldly go where no one has gone before“.

Diejenigen, die, innerhalb der Permakultur-Szene, von Nachhaltigkeit schwärmen und Maßhalten predigen, haben fast alle ein abenteuerliches abwechslungsreiches Leben, oft an der vordersten Front der Erforschung alternativer Lebensweisen, hinter sich oder sind noch mitten drin. Sie lebten und leben eben gerade kein beständiges, täglich immer gleiches, immer den Erfordernissen von Aussaat, Ernte und der täglich gleichen Hofarbeit folgendes Leben, sondern dasjenige von Pionieren. Bill Mollison war ein typischer Pionier, genauso wie Masanobu Fukuoka einer war. Und der jetzige medienwirksamste Verbreiter der Permakultur, Geoff Lawton, lebt das Leben eines vielbeschäftigten Consultants, Lehrers und Sprechers. Alle diese Menschen, die uns eine nachhaltige, bewahrende und dem Gleichmaß und der Selbstbeschränkung verpflichtete Lebensweise empfehlen, machen uns mit ihrer Lebenspraxis vor, was uns wirklich hinter dem Ofen hervorlockt und uns begeistert und anzieht: Aufbruch, Neuerung, Experimente, Risiko, Abenteuer. Meine Oma hätte gesagt, sie predigen Wasser und trinken Wein. Das soll nicht heißen, dass ihre Empfehlungen und die von ihnen gelehrten Methoden mangelhaft oder nicht umsetzbar wären, im Gegenteil, sie sind oft von genialer Einfachheit, meist auch unter schwierigen Bedingungen umzusetzen und es gibt reale Beispiele, an denen man beobachten kann, wie sie funktionieren – vorausgesetzt es gibt Menschen, die die gestalteten Projekte dauerhaft und zuverlässig begleiten.

Die bekannten und die neuen Methoden des nachhaltigen und ökologisch verträglichen Lebens können und könnten schon funktionieren, wenn sich Menschen – wenn wir uns – bequemen würden, nicht immer noch etwas Neues und immer noch etwas mehr machen und haben zu wollen.

Aber wir wollen ja schließlich, wie Captain Kirk, etwas erreichen. Denn sonst würden wir uns ja langweilen… .


Der Autor arbeitet beim Verein Choka Sangha e.V. und gestaltet den Praxisort ToGenJi-Projekt mit.

Bereits erschienen im Permakultur Magazin, Ausgabe 2018 für Vereinsmitglieder. Hier kannst du Mitglied werden und dem Permakultur Institut e.V. beitreten.

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