Zugegebenermaßen etwas spät bekam ich die Info, dass noch jemand vom Permakultur Institut gesucht wird, um auf die Auszeichnungsverleihung der deutschen UNESCO-Kommission in München zu fahren. Da die Kosten erstattet wurden und ich an dem Abend nichts vorhatte, entschloss ich mich, den Weg von Darmstadt nach München auf mich zu nehmen. Gelohnt hat es sich – wie ich später herausfand.
Also nach der Arbeit in den Zug nach München gestiegen und nach kurzem Umstieg am Münchner Hauptbahnhof ging es zum alten Rathaus, wo die Vorbereitungen für die Veranstaltungen liefen. Für mich eine Gelegenheit, den direkt angrenzenden Viktualienmarkt zu erkunden und mir nach der vierstündigen Fahrt etwas die Beine zu vertreten.
Als wir anschließend eingelassen wurden, erwartete uns schon ein nettes Buffet und Getränke sowie ein reichhaltiges Programm, das die deutsche UNESCO-Kommission auf die Beine gestellt hatte. Darunter ein Grußwort der zweiten Münchner Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (BÜNDNIS 90/Die Grünen), ein Musikbeitrag der Gruppe „Umme Block“ und eine, wie ich finde, sehr interessante Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Rieckmann von der Universität Vechta und Dr. Gesa Lüdecke vom Rachel Carson Center for Environment and Society an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Die beiden diskutierten über eine Theorie der Bildung für nachhaltige Entwicklung, die kurz vorgestellt wurde: „A Rounder Sense of Purpose“ besteht aus zwölf Kompetenzbereichen, die möglichst gut in der Bildung für nachhaltige Entwicklung abgedeckt werden sollten, um wirklich ganzheitlich zu sein:
- Systeme
- Aufmerksamkeit
- Transdisziplinarität
- Kritisches Denken
- Zukünfte
- Empathie
- Kreativität
- Verantwortung
- Partizipation
- Werte
- Handeln
- Entscheidungsfreudigkeit
Wer mehr über die Kompetenzbereiche und ihre Anwendung lesen möchte, kann dies unter https://aroundersenseofpurpose.eu/de/ tun.
Eine der Kernaussagen des Inputs war, dass jede dieser Kompetenzen mit eigenen pädagogischen Methoden vermittelt werden sollte. Eine große Aufgabe für Lehrende in der Bildung für nachhaltige Entwicklung, allen dieser zwölf Kompetenzen gerecht zu werden, finde ich. Auch bei der Diskussion wurde dieser Punkt aufgegriffen.
Die Diskussion drehte sich um Fragen aus dem Publikum, das aufgrund des Themas der Veranstaltung selbst (Nationale Auszeichnung Bildung für nachhaltige Entwicklung), Großteils aus Pädagog*innen bestand. Eine Frau fragte eben, wie man es schaffen soll, den Anforderungen aus Politik und Gesellschaft gerecht zu werden: Nachhaltigkeit, Digitalität, Inklusion und Künstliche Intelligenz – sie brachte ihre Überforderung zum Ausdruck. Eine berechtigte Frage, wie ich finde. Schließlich wird gerade viel Verantwortung auf Akteure im Bereich der Nachhaltigkeit abgeladen. Prof. Dr. Rieckmann antwortete, es sei tatsächlich nicht Aufgabe der Bildung für nachhaltige Entwicklung oder des Bildungssystems, alle Nachhaltigkeitsprobleme zu lösen. Die Gesellschaft müsse als Ganzes daran arbeiten, den Klimawandel und seine Folgen anzugehen. Puh! Das nimmt erstmal Druck von den Schultern.
Anschließend an die Podiumsdiskussion ging es an die Preisverleihung und zwar in drei Runden, jeweils unterbrochen von weiteren thematischen Beiträgen zur Auflockerung. Der Spannung tat das keinen Abbruch. Alle Ausgezeichneten beantworteten auf der Bühne jeweils eine Frage der Moderatorin Dr. Angela Firmhofer. Bei der zweiten Runde war es soweit: die Permakultur Akademie war unter den Ausgezeichneten. Auf der Bühne ein kurzer Film über unsere Aktivitäten, Händeschütteln mit Dr. Roman Luckscheiter, Generalsekretär der deutschen UNESCO-Kommission, Übergabe der Urkunde, gemeinsames Foto.
Dann die Fragen der Moderatorin auf der Bühne. Als Dr. Firmhofer sich an mich als Stellvertreter der Akademie wendete, bemerkte sie, dass sie vor einigen Jahren im Studium von Permakultur gehört habe. Sie möchte von mir wissen, was sich in den letzten Jahrzehnten verändert habe. Was Permakultur heute in die Welt tragen wolle und wo die heutigen Anwendungsfelder von Permakultur lägen. Keine einfache Frage, denke ich mir, und beginne meine Antwort bei der Skalierbarkeit von Permakultur. Ich kann Permakultur sowohl in der Stadt auf meinem Balkon als auch auf großen Landwirtschaften mit hunderten Hektar betreiben. Aber, sage ich, Permakultur ist und war noch nie eine reine Methode der Garten- oder Landwirtschaftskultur, sondern ist ein umfassendes Gestaltungskonzept und eben kein Patentrezept. Es geht um kontextbasiertes Gestalten, um das Entwickeln individueller Lösungen für jeden einzelnen Standort.
Frage beantwortet, einige nickende Gesichter im Publikum. So richtig zufrieden bin ich mit der Antwort nicht, aber das kommt wohl, wenn man keine 90 Minuten Zeit hat, um Permakultur zu definieren.
Die Urkunde in der Hand gehen ich und die übrigen Ausgezeichneten der zweiten Runde wieder von der Bühne. Ich muss zum Zug, denn ich möchte nachts wieder in Frankfurt sein, um am nächsten Tag wieder zur Arbeit zu gehen. Schön war es trotzdem und ich gehe nicht nur mit der Urkunde nach Hause, sondern auch mit dem Gefühl der Dankbarkeit und Wertschätzung für unsere Bildungsarbeit. Und mit neuen Aspekten, über die ich nachdenken darf. Zum Beispiel: Die Kompetenz des kritischen Denkens aus der Theorie der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Haben wir den in unserer Bildungsarbeit schon gut verankert? Folgen wir als Permakultur-Szene einigen Annahmen, die wir einfach in unsere Praxis übernehmen? Mit Unterstützung von viel Kaffee bleibe ich im Zug bis spät in die Nacht wach und schmiede neue Ideen.
Schön war’s in München und herzlichen Glückwunsch an Akademie und Institut für diese tolle Auszeichnung!