Im Rahmen des städtischen Projekts Biometropolregion standen 2014 Gelder zur Verfügung, die das Umweltreferat der Stadt als Anschubunterstützung für die Solidarische Landwirtschaft nutzte. Wenige Monate nach den ersten Gesprächen ging es los. Zwei Jahre später gründeten Solawi-Aktive einen Förderverein und die Stadt zog sich als Akteur zurück. Im Interview erzählt Landwirtin Andrea Spoerry vom Alltag bei stadt.land.beides, wie sie die Gründung durch die Stadt erlebt hat und ob sie es weiterempfehlen kann, Solawis „von oben" zu gründen."
Was ist deine Rolle beim Reimehof?
2013 bin ich nach meinem Zweitstudium in Ökolandbau und Vermarktung als 30-Jährige auf den Reimehof gekommen. Zusammen mit der Reimehof-Gründerin Tanja Beyer und anderen Landwirten, Landwirtinnen, Käserinnen und Auszubildenden bewirtschaften wir den 30-Hektar-Hof mit 80 Milchziegen nach Biolandrichtlinien. Aus der Milch stellen wir in der Hofkäserei verschiedenste Sorten Ziegenkäse her. 2019 habe ich die Betriebsleitung übernommen und den Betrieb von Tanja gepachtet. Da ich Mutter zweier Kinder bin, übernehme ich zurzeit hauptsächlich Arbeiten im Büro. Als zweitältestes Teammitglied helfe ich in allen Bereichen aus, organisiere vieles und gebe mein Wissen weiter.
Wie viele Höfe machen mit, wie viele Depots und Abholstellen und wie viele Ernteteilerinnen und -teiler habt ihr momentan?
Bei stadt.land.beides versorgen vier Höfe über sechs Depots fast 80 Ernteteilerinnen mit Sommer- und Wintergemüse, Obst, Ziegenkäse, Eiern, Hühnerfleisch, Getreide, Rindfleisch und Wurstwaren. Wir vom Reimehof haben 65 Ernteteiler, von denen sechzehn der Solawi Erlangen angeschlossen sind. Bei uns kann ein "More Goat"-Anteil gebucht werden. Ernteteilerinnen und -teiler wählen zwischen einem monatlichen und einem vierzehntägigen Paket. Das monatliche Paket finanziert ein Vierzehntel der Kosten für die Haltung einer Ziege sowie die der Herstellung von Käse. Die Ernte sind ca. 600 g Käse pro Monat, aufgeteilt in drei bis vier verschiedene Sorten. Das zweiwöchige Paket enthält doppelt so viel. Im Herbst gibt es pro Ernteanteil rund 900 g Zickleinfleisch.
Ich glaube, in Deutschland ist die Solawi-Defintion etwas enger gesehen als in der Schweiz. Man unterscheidet klar zwischen Abo-Betrieben und Solawi-Betrieben. Abos kann man jederzeit kündigen und nach seinen Bedürfnissen anpassen. Ernteanteile einer Solawi bezieht man mindestens für ein Jahr, sodass der Landwirt eine gewisse Sicherheit hat und kalkulieren kann. Verteilt wird, was geerntet wird. Abo-Kisten werden nach den Wünschen der Kund*innen bestückt.
Wie ist der Reimehof zu stadt.land.beides gekommen?
Schon bevor ich auf den Reimehof gekommen bin, habe ich mich intensiv mit Solidarischer Landwirtschaft beschäftigt. In einem Seminar auf der Demeter Junglandwirtetagung hat mich Wolfgang Stränz vom Buschberghof von der Idee begeistert. Daraufhin habe ich einem Gemüsehof in der Nähe von Berlin bei der Umstellung von der klassischen Direktvermarktung zu Solawi geholfen und mehrere Jahre ein Abhol-Depot betreut. In Zürich habe ich dann ein Praktikum bei ortoloco, eine durch Verbraucherinnen gegründete Solawi, gemacht. Später habe ich mein Ökolandbaustudium mit einer Bachelorarbeit über die Organisationsstrukturen verschiedener Projekte der Solidarischen Landwirtschaft abgeschlossen. Die Resultate wurden sogar in einem Buch veröffentlicht. Als ich zum Reimehof kam, war schon klar: Die Solawi-Idee soll auch hier umgesetzt werden.
Was waren die Schritte bei der Gründung?
Zuerst gab es ein großes Infotreffen. Hier haben sich interessierte Höfe den Verbrauchern vorgestellt. Dann haben sich beide Gruppen zusammengesetzt und geschaut, wohin, wann und zu welchem Preis Ernteteile vergeben werden könnten. So haben wir erste Depots gegründet und Ernteanteile verteilt.
Habt ihr etwas von der „Top-Down-Gründung“ mitgekriegt?
Ja, wir waren von Anfang an bei den ersten Treffen mit der Stadtverwaltung Nürnberg und den Höfen dabei. Zunächst war nicht klar, wie sich das Projekt strukturiert und aufstellt. Es war nicht ganz einfach, weil es von Landwirtinnen, der Stadtverwaltung und den Verbrauchern verschiedene Ansichten gab, wie eine Solidarische Landwirtschaft gestaltet werden soll. Die Hauptdifferenz bestand in der Definition von Solidarischer Landwirtschaft. Können wir uns als Reimehof, der nur ein Bruchteil seiner Ernte oder Produkte nach dem Solawi-Konzept verteilt, wirklich als Solawi bezeichnen? Muss nicht der ganze Hof seine Produkte nach diesem Konzept vergeben? Sollte ein Solawi-Hof nicht die ganze Produktpalette, von Gemüse über Getreide bis hin zu Milchprodukten, anbieten können? Jetzt sind wir die Mehr-Hof-Solawi stadt.land.beides. Hier können Verbraucherinnen auf eine beinahe Vollversorgung durch die Solawi Nürnberg zählen: Eier, Suppenhuhn, Gockel, Getreide, Mehl, Nudeln, Rindfleisch und Wurstprodukte, Gemüse und Obst, Ziegenkäse, Säfte.
Es gibt einen Förderverein, der sich um die Höfe, die Depots und die Ernteteiler kümmert. Der Verein betreibt Öffentlichkeits- und Pressearbeit, managt die Mitgliederorganisation, den Transport der Produkte vom Hof zu den Depots, die Depots selbst, er übernimmt die Lastschrifteinzüge bei den Mitgliedern und die Buchhaltung – eigentlich wahnsinnig, was hier ehrenamtlich geleistet wird!
Was hat euch überzeugt, mitzumachen?
Wie gesagt, für mich war schon klar, Solawi zu machen. Aber natürlich hat die Initiative der Stadtverwaltung Nürnberg, Höfe zur Solidarischen Landwirtschaft zu bringen, sehr geholfen, die Idee umzusetzen. Als Ziegenhof ist eine Mehr-Hof-Solawi fast die einzige Möglichkeit, eine Solawi zu etablieren. Ziegenkäse ist ein Nischenprodukt. Es braucht eine große Basis an Ernteteilerinnen, die Gemüse beziehen. Etwa 10 bis 20 Prozent von den Gemüseernteteilern nehmen auch Ziegenkäse.
Was hat sich durch die Solawi für euch verändert?
Mit der Solawi haben wir einen noch engeren Kontakt mit Verbraucherinnen knüpfen können. Viele kennen wir schon seit gut sieben Jahren. Es ist schön zu wissen, dass unser Ziegenkäse und somit auch unsere Arbeit von manchen Menschen über so viele Jahre wertgeschätzt werden.
Was habt ihr schon verändert, seitdem die Solawi läuft?
Durch die jährlichen Berechnungen zu den Kosten einer Ziege, deren Milch und des daraus entstehenden Käses haben wir mehr Bewusstsein über den "echten“ Preis unserer Arbeit. Zudem haben wir viele Rückmeldungen über die Produkte erhalten und konnten so auch das Angebot anpassen. Die Käsepakete sind kleiner geworden und werden nur noch zweiwöchentlich oder monatlich geliefert. Wöchentliche Anteile zu vergeben war zu viel.
Was würdet ihr nächstes Mal anders machen? Welche Tipps möchtet ihr Landwirtinnen und Gärtnern oder auch Konsumentinnen geben, die bei einer Solawi mitmachen wollen oder eine gründen möchten?
Ich bin nicht sicher, ob eine solche "Top-Down-Gründung" sinnvoll ist. Eigentlich ist es ja ein Konzept, das von engagierten und bewussten Verbrauchern lebt. Wir haben zwar einige sehr aktive Ernteteilerinnen. Aber manchmal denke ich, es könnten mehr sein, wenn die Gründung als Verbraucherinitiative entstanden wäre.
Landwirtinnen würde ich den Tipp geben, nicht darauf zu zählen, dass Arbeit auf dem Hof von Ernteteilern mitgetragen wird. Natürlich gibt es tolle Möglichkeiten, Aktionstage zu veranstalten. Aber hier sollte der Spaß-Faktor im Vordergrund stehen und nicht die Arbeit. Eine zu hohe Erwartungshaltung gegenüber den Ernteteilerinnen kann zu Frustration führen. Es sind ja auch Menschen mit Jobs und sonstigen Verpflichtungen.
Dann ist es wichtig, von Anfang an eine transparente Kalkulation der Kosten vorlegen zu können. Sollten der Landwirtin die Zahlen über den Kopf wachsen, kann ein Ernteteiler unterstützen oder es kann über das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft Deutschland Kontakt zu anderen Höfen geknüpft werden, um Hilfe zu holen.
Außerdem dürfen die Ernteanteile nicht zu groß gestaltet werden. Oft überfordert es die Menschen aus der Stadt, so viele Lebensmittel auf einmal zu erhalten. Viele kochen nicht täglich. Weniger ist mehr.
Weiterführende Links:
http://www.stadt-land-beides.de/
https://www.solidarische-landwirtschaft.org/
Buchtipp:
Solidarische Landwirtschaft – Betriebsgründung, Rechtsformen und Organisationsstrukturen
Von Heintz Veikko
ABL Bauernblatt Verlag
Seitenzahl: 154
ISBN-13: 9783930413652
ISBN-10: 3930413655