Was ist der Weltüberlastungstag und wie nachhaltig lebt ein Ökodorf wirklich?

Ab jetzt leben wir auf Pump, auf Kosten der Erde, von Menschen in anderen Erdteilen und vor allem von zukünftigen Generationen. Christoph Strünke hat den aktuellen ökologischen Fußabdruck des Ökodorfs Sieben Linden ermitteln lassen und teilt seine Erfahrungen.


von Christoph Strünke

Am 29. Juli 2019 war der weltweite „Weltüberlastungstag“ (Earth Overshoot Day). Das ist der Tag des laufenden Jahres, an dem unsere weltweite Nachfrage nach Rohstoffen das Angebot und die Kapazität der Erde zur Reproduktion übersteigt. Seit den 70er-Jahren übersteigt unser Ressourcenverbrauch die Reproduktion. So hat sich das Datum des Weltüberlastungstages vom 07. Dezember (1990) zum 01. November (2000) zum 21. August (2010) zum 29. Juli (2019) immer weiter nach vorne verschoben.

Ein erster Erfolg: der ökologische Fußabdruck liegt weit unter dem Bundesdurchschnitt

Das Ökodorf Sieben Linden strebt an, so zu leben, das alle Menschen auf diesem Planeten so leben können. Dazu zählt auch, dass die Erde alle ernährt und die Kohlenstoffdioxid-Belastung für den Planeten in einem vertretbaren Rahmen bleibt. Die Spuren, die unser Leben in der Ökologie der Erde hinterlassen, werden „ökologischer Fußabdruck“ genannt. Es ist Sieben Linden ein Herzensanliegen, den Fußabdruck nicht nur zu schätzen, sondern auch wissenschaftlich erfassen zu lassen, um so ein fundiertes Feedback zum eigenen Lebensstil zu bekommen.

Neben kleineren, qualitativen Studien gibt es zwei größere Studien, die Universitäten zum Fußabdruck des Ökodorfes durchgeführt haben. Die erste ist etwa 15 Jahre her – die Gesamthochschule Kassel erfasste das Alltagsverhalten in 2002 und veröffentlichte in 2004 eine Studie unter dem Titel „Gemeinschaftlich – nachhaltig1.

Die Technische Universität Turin (politecnico di torino) in Italien hat 2014 weitere Daten erhoben und Anfang 2019 im Rahmen einer Studie veröffentlicht2. Der Verbrauch hat sich in vielen Bereichen seit 2002 verringert. Dies dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass heute ein größerer Teil der in Sieben Linden lebenden Menschen in hochgedämmten Häusern lebt. Laut der Studie liegt der ökologische Fußabdruck des Ökodorfs Sieben Linden bei circa einem Viertel des Bundesdurchschnitts!

Jedoch zeigt die Studie auch auf, dass es längst nicht ausreicht. Was die verträgliche Menge Kohlenstoffdioxid ist, die für einen Menschen ausgestoßen werden dürfte, darüber gibt es unterschiedliche Lehrmeinungen, aber für das 2°C-Ziel3 dürfte es wohl maximal eine Tonne sein. (Brejnrod et al. 2017, Building and Environment)

Wenn alle Menschen so viel Energie und Ressourcen verbrauchen würden wie in Deutschland, wäre der weltweite Überlastungstag übrigens schon Anfang Mai gewesen. Bezogen auf die Lebensweise im Ökodorf Sieben Linden wäre es Anfang November. Immer noch nicht komplett nachhaltig, aber auf dem Weg.

Was kann das Ökodorf Sieben Linden noch tun?

Die Studie zeigt weiterhin auf, wo das größte Handlungspotential für eine Verringerung des ökologischen Fußabdruckes liegt. Im Dorf ist das Thema, bei dem noch weitere Einsparungen erreicht werden können, die Mobilität. Allerdings ist dies das Thema, bei dem es den in Sieben Linden lebenden Menschen am schwersten fällt. Manchmal geht es um die Wahl des Verkehrsmittels, und darum, mit öffentlichen Verkehrsmitteln statt mit dem Auto zu fahren. Aber die höchsten Einsparungen kämen durch weniger Reisen. Das kollidiert mit dem Anspruch, als nachhaltige Gemeinschaft ganz bewusst nach außen zu wirken. Es wird sich viel und gerne vernetzt, um von anderen Projekten zu lernen und die eigenen Erfahrungen an andere Projekte weiterzugeben.

Das Ökodorf Sieben Linden ist aktiv im Global Ecovillage Network und fährt zu den verschiedenen Treffen. Dabei werden auch lange Anreisen in der Regel nicht mit dem Flugzeug gemacht. Doch auch eine Bahn- und Busreise nach Estland, Schweden, Slowenien, Ungarn oder Portugal hat einen erheblichen ökologischen Fußabdruck. Will das Ökodorf darauf verzichten? Sollen die Kinder lieber nicht zu Praktika oder Schüleraustauschen ins Ausland geschickt werden, weil weltweite Freundschaften den ökologischen Fußabdruck zerstören? Hier kollidieren verschiedene Werte, die der Gemeinschaft wichtig sind, miteinander und für dieses Dilemma gibt es aktuell keine Lösung.

Auch bei der Ernährung gibt es noch Einsparpotential. Nicht nur Fleisch, auch Milchprodukte haben einen hohen Kohlenstoffdioxid-Fußabdruck. Die vegan lebenden Menschen produzieren mit ihrer Lebensweise weniger Kohlenstoffdioxid als Menschen, die gerne Käse und Butter konsumieren. Zwar wäre zum Beispiel das Fleisch von vor Ort aufgezogenen Kaninchen vermutlich mit weniger Fußabdruck belastet als Tofu, aber in der Realität sind es die Milchprodukte, die das höchste Einsparpotential bieten würden.

Interessanterweise liegt ein weiteres, wichtiges Handlungspotential für die Verbesserung des ökologischen Fußabdruck außerhalb des Dorfes. Denn neben dem Fußabdruck, der durch das eigene Handeln beeinflusst wird, gibt es den „öffentlichen Fußabdruck“. Dies ist die Grundlast, die durch die öffentliche Infrastruktur, Schule, Krankenhäuser, Militär, Straßen, Plätze, et cetera produziert wird. Dieser öffentliche Fußabdruck beträgt alleine ungefähr vier Tonnen Kohlenstoffdioxid-Äquivalent pro Person. Hier liegt für die in Sieben Linden Lebenden inzwischen das größere Handlungsfeld.

Was können wir dafür tun, dass der Fußabdruck der Infrastruktur in Deutschland geringer wird? Hier wird deutlich, dass der Weg, das eigene Alltagshandeln zu verbessern, seine Grenzen hat, und flankiert werden muss durch politisches Handeln und ein Wirken in die Gesellschaft. Wenn die Gemeinschaft Sieben Linden durch das Engagement für den Strohballenbau darauf hinwirkt, dass mehr und bessere hochgedämmte Häuser gebaut werden, sinkt der Fußabdruck in Deutschland. Wenn durch das Engagement im Gemeinderat für energieeffiziente Straßenbeleuchtung gesorgt wird, dann hat das für die Erde wichtige Auswirkungen auf den öffentlichen Fußabdruck. Und so wird es immer ein „sowohl als auch“ sein um den persönlichen und den gesellschaftlichen Fußabdruck weiter zu minimieren. Wichtig ist jedoch, den ersten Schritt zu gehen.



1 Simon, Matovelle, Fuhr, Kilmer-Kirsch, Dangelmeyer 2004 „Gemeinschaftliche Lebens- und Wirtschaftsweisen und ihre Umweltrelevanz

2 Bocco, Gerace, Pollini 2019 „The Environmental Impact of Sieben Linden Ecovillage

3 Blogartikel zum Thema „Was Permakulturgestaltende aus dem 1,5°C Sonderbericht lernen können


 

Bereits erschienen als Pressemitteilung am 29.07.2019 vom Ökodorf Sieben Linden sowie auf der Webseite  der Gemeinschaft. Das Ökodorf Sieben Linden ist ein Praxisort für Permakultur.

 

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