Waldparadies statt Wüste

Das Natürliche Wassermanagement legt den Fokus auf das Schliessen des kleinen Wasserkreislaufes


Das Natürliche Wassermanagement legt den Fokus auf das Schliessen des kleinen Wasserkreislaufes

Kleiner und grosser Wasserkreislauf (Grafik: Stephanie Rauer, Quelle: Water for the Recovery of the Climate).

Kleiner und grosser Wasserkreislauf (Grafik: Stephanie Rauer, Quelle: Water for the Recovery of the Climate).

Hier fliesst das Regenwasser grösstenteils oberirdisch ab. Der ungeschützte verdichtete Boden hat nur wenig Kapazität, Regenwasser aufzunehmen.

Hier fliesst das Regenwasser grösstenteils oberirdisch ab. Der ungeschützte verdichtete Boden hat nur wenig Kapazität, Regenwasser aufzunehmen. (Foto © Sandra Carina Imhof)

Das Regenwasser wird seit fünf Jahren mittels Teichen, Swales, Terrassen, Bodenaufbau und Mulchen auf dem Land gehalten.

Das Regenwasser wird seit fünf Jahren mittels Teichen, Swales, Terrassen, Bodenaufbau und Mulchen auf dem Land gehalten. (Foto © Sandra Carina Imhof)

von Stephanie Rauer

Die Schweizerin Sandra Carina Imhof ist überzeugt: Regenwasser gehört in den Boden. Sie kreierte den Begriff des Natürlichen Wassermanagements, das sich am Vorbild der Natur orientiert und bringt das neue Wasserparadigma durch Vorträge immer mehr Menschen näher.


Das Wasser spielt in deinem Leben eine zentrale Rolle. Wie kam es dazu?

Ich hatte schon immer eine enge Beziehung zum Wald. Daraus hat sich das Thema Wasser ganz natürlich ergeben. Denn ohne Wasser kein Wald – und umgekehrt. Als ich in der 3. Klasse vom Zusammenhang zwischen Wasserkreislauf und Wald hörte, war für mich klar: Bäume sind die Lösung. Wieso pflanzen wir nicht einfach wieder mehr Wälder? Als ich später über die Bücher von Sepp Holzer gestolpert bin, war das für mich wie ein Déjà-vu: Wissen, das irgendwo in meinem System schon vorhanden war und nur wachgekitzelt werden musste. Als Lehrerin für Textilökologie wurde es dann für mich unmöglich, weiter dabei zuzusehen, was wir unserem Wasser antun. Und so begann ich mich in Permakultur weiterzubilden.


Überall auf der Welt erleben wir immer mehr Dürren, Waldbrände, aber auch sintflutartige Regenfälle und Überschwemmungen mit Erosion und Erdrutschen. Entweder zu viel oder zu wenig Wasser: Es scheint, der Wasserhaushalt der Erde ist aus dem Gleichgewicht geraten. Was sind die Ursachen dafür?

Wir erschweren es dem Boden immer mehr, Wasser aufzunehmen. Teilweise schon seit Jahrhunderten. Sei es durch Abholzung, Wegleiten des Regenwassers, dem Wetter ausgesetzte blanke oder versiegelte Böden, den Einsatz von Düngemittel und Pestiziden oder durch das Befahren der Felder mit schweren Maschinen. So wurden zum Beispiel grosse Teile der Küsten Südeuropas und Nordafrikas abgeholzt und massiv überbaut. Bebaute Flächen heizen sich aber stärker auf als natürliche Landschaften, und die dort aufsteigende warme Luft wirkt wie eine Barriere für die vom Meer kommenden Wolken. Sie schaffen es nicht mehr bis ins Landesinnere, um dort abzuregnen. Gleichzeitig wird der kleine Wasserkreislauf unterbrochen, der dafür sorgt, dass Regenwasser recycelt wird: Ohne Vegetation gibt es nicht genügend Luftfeuchtigkeit, die es braucht, damit sich überhaupt ausreichend Wolken bilden. Und wenn Regenwasser nur noch oberirdisch in die Flüsse abfliesst, ist es für den Boden verloren. Es trägt dabei potenziell fruchtbaren Boden weg und hinterlässt Erosionsschäden. Bei starkem Regen schwellen die Flüsse an, trocknen aber bald darauf wieder aus. In Südeuropa gehört das schon längst zur Realität. Das ist aber nicht allein Zeichen des Klimawandels, sondern vor allem Zeichen eines falschen Wassermanagements.

Welche Lösungsstrategien siehst du?

So simpel es klingt, so effektiv ist es: Oberstes Ziel muss sein, das Regenwasser nicht „den Bach runter gehen“ zu lassen, sondern dem Boden zurückzuführen. Finden wir zurück zu diesem Naturmuster, hätte das einen verblüffend grossen Effekt auf das ganze System. Denn wird das Regenwasser vom Boden aufgenommen, tritt es irgendwo als Quellwasser wieder aus. Der Wasserpegel der Flüsse wäre dadurch stabiler. Von Pflanzen beschattete und durchwurzelte Böden können mehr Wasser speichern. Der kleine Wasserkreislauf schliesst sich. Wenn wir mit der Wiederbegrünung an der Küste und an Orten mit dafür ausreichendem Niederschlag beginnen, dann können wir den Regen von da aus in trockenere Gebiete „ziehen“. Veränderungen ab ein paar Hundert Hektar können bereits das regionale Klima beeinflussen.

Welchen Beitrag können wir im Kleinen dazu leisten?

Es braucht einen veränderten Umgang mit Wasser. Wie kann ich es dem Boden zurückgeben, anstatt es wegfliessen zu lassen? Der Aufbau der Humus- und einer dichten Vegetationsschicht hilft, das Wasser zu speichern. Solange diese noch im Aufbau sind, kann es durch Swales (Sickergräben), Mulden, Terrassen und Teiche verlangsamt, zum Versickern gebracht oder gespeichert werden. Das Mulchen und Begrünen aller Flächen schützt den Boden vor Erosion und dem Austrocknen durch Sonne und Wind. Und ganz wichtig: Etagenwirtschaft: Pflanzen verschiedenster Wuchshöhen ins gleiche System setzen. Denn viele der bodennahen Pflanzen mögen es gar nicht, den ganzen Tag der prallen Sonne ausgesetzt zu sein. Wenn sich Pflanzen gegenseitig beschatten, dann geht weniger Wasser verloren und der Boden wird vor dem Austrocknen bewahrt.

Und wie kann man den Boden vor den Auswirkungen starker Niederschläge schützen?

Auch hier gelten ähnliche Strategien. Den Boden gut bedecken, damit das Wasser den Boden nicht wegschwemmen kann. Gegen Hagelschäden können zum Beispiel Sonnenblumen schützen, damit die Pflanzen darunter nicht erschlagen werden. An Hängen verlangsamen an Höhenlinien angelegte Terrassierungen das Wasser und verhindern Rutschungen. Die Talsohle gehört dem Wasser. Strassen und Wege möglichst oberhalb davon anlegen und geschwungen führen. So wird verhindert, dass sich das Regenwasser darauf sammelt und beim Abfliessen Furchen hinterlässt.

Wie verändern sich Landschaften durch solche Strategien? Kannst du ein paar Beispiele aus den Projekten nennen, an denen du mitgewirkt hast?

Da kommt mir als erstes Tamera in Portugal in den Sinn. Dort hat sich seit dem Bau des ersten Sees 2008 innerhalb weniger Jahre so viel verändert, dass wenige Sommer später das erste Obst geerntet werden konnte.

An der Lebensgemeinschaft Tamera wird manchmal kritisiert, dass durch deren Wasserlandschaft die Bauern im Umfeld noch weniger Wasser hätten als vorher. Wie denkst du darüber?

Diese Kritik zeigt, dass es noch viel Aufklärungsarbeit braucht. Langfristig ist genau das Gegenteil der Fall: Das Regenwasser hat durch das Verlangsamen Zeit, im Boden zu versickern, statt wegzufliessen. Das hat einen positiven Effekt auf den Grundwasserspiegel, die Bodenfeuchtigkeit und somit auch auf die Taubildung. Diese Effekte würden massiv verstärkt, wenn die Nachbarn das Regenwasser auch versickern liessen.

Wie ist die Situation in deinem aktuellen Projekt in Portugal?

Die Ausgangslage ist ein überweidetes, steiniges Land in der Region Mértola, rund 100 Kilometer im Landesinneren. Die Besitzerinnen halten Kühe, Schafe und Ziegen. Wir hatten im Winter 2018/19 nur circa 170 Millimeter Niederschlag, weniger als die Hälfte der durchschnittlichen Menge. Ein zusätzliches Hindernis ist dabei der staatliche Umgang mit EU-Subventionen, der Veränderungen massiv erschwert und die Zerstörung sogar noch vorantreibt. Denn wer finanzielle Unterstützung erhalten möchte, darf zum Beispiel sein Weideland nicht verbuschen lassen. Doch genau das erschwert die Regeneration massiv. 2019 haben wir die ersten Pflanz- und Saatversuche mit 300 Bäumen und Büschen in einer Talsohle gemacht, zum Beispiel mit Steineichen, wilde Oliven, Mandeln, Kasuarinen, Pistazien. Im Sommer hatten wir dann über einen Monat lang 40 Grad Celsius. Da half auch die Talsohle nichts. Was wegen des fehlenden Wassers nicht vertrocknete, verbrannte in der Sonne. Unsere Lehre daraus: Geduld haben und bei der ersten Sukzessionsstufe beginnen.

In der Natur entsteht ein Wald ja auch nicht von heute auf morgen.

Genau. In diesem Fall wollen wir also mit der Prärie anfangen und verschiedene Gräser und Leguminosen säen. Wir wollen die Zistrosen regelmässig schneiden, damit sie stärker nachwachsen und so mehr Schatten werfen. Das Schnittgut würde als Mulchmaterial verwendet. Eine weitere Idee ist, bewegliche Zäune einzusetzen, damit die Tiere gemäss einem ganzheitlichen Weidemanagement nur noch in Intervallen über das Land ziehen.

Im Gegensatz zu Portugal könnte man meinen, dass es im Alpenraum kein Problem mit zu wenig Wasser geben sollte. Wie siehst du das?

Wir haben uns lange in Sicherheit gewiegt, dass wir durch die Gletscher eine beinahe unbegrenzte Menge an Wasserreserven haben. Aber auch ohne sie hätten wir genügend Wasser zur Verfügung, würden wir es richtig managen. Wir haben zwar viel Wald, aber eben auch viel Fichtenmonokultur ohne Unterbewuchs. So wird kaum Wasser im Boden gehalten. Einen Bergwald zu bewirtschaften ist extrem teuer und schwierig. Mit einem Mischwald hätten wir viel mehr Ertrag, würden wir seine Eigenschaften wertschätzen und in die Kosten-Nutzen-Rechnung einbeziehen. Es geht nicht nur ums Holz. Der Wald kann so viel mehr. Er ist Lebensraum, bindet CO2 und kann unser Klima stabilisieren. Durch seine Vielfalt ist er ein perfekter Wasserspeicher, senkt die Waldbrandgefahr und hat Einfluss auf einen stabileren Wasserpegel in den Flüssen. Er schützt den Boden vor Erosion und in den bergigen Regionen vor Erdrutschen und Lawinen.

Und vor welchen Herausforderungen steht die Landwirtschaft in der Schweiz? Inwieweit ist sie selbst Verursacher ihres eigenen Problems?

Viele der heutigen Bewirtschaftungsmethoden führen dazu, dass das Regenwasser nur schwer im Boden versickern kann und kaum noch gespeichert wird. Dies führt zu sinkendem Grundwasserspiegel, Überschwemmungen im Tal und überhitzten und ausgetrockneten Feldern. Das hat wiederum einen negativen Einfluss auf die Bodenlebewesen, das Pflanzenwachstum und das Klima, was dann den kleinen Wasserkreislauf noch mehr aus dem Lot bringt. Genauso wie Überschwemmungen ist auch der Wassermangel grösstenteils durch Menschen verschuldet. Das Wissen um die Lösung dieser Probleme ist längst vorhanden. Wir haben es in der Hand, dieses auch umzusetzen.

Vom Regenmachen bis zum möglichst langen Halten von Wasser im Erdreich: Können wir den kleinen Wasserkreislauf deiner Meinung nach also wieder ins Gleichgewicht bringen?

Wir sind den klimatischen Veränderungen nicht hilflos ausgeliefert. Wenn wir umdenken und die nötige Energie und die finanziellen Mittel einsetzen. Ich bin davon überzeugt, weil ich es im Kleinen bereits erlebt habe. Wenn ich heute nach Tamera oder zum Krameterhof fahre, dann ist das wie eine andere Welt zu betreten. Wenn du das gesehen hast, dann weisst du, es ist möglich! Es liegt an uns, aus Agrarwüsten wieder Paradiese zu schaffen.

 

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Literaturtipps:

  • Der Waldmacher, Tony Rinaudo
  • Water for the Recovery of the Climate, Michal Kravčík

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