Staub zu Erde – Terra Preta erobert die Welt.

Natürliche Bodenbildungsprozesse brauchen sehr, sehr viel Zeit. Doch mit dem richtigen Know-how kann der Mensch guten Humus in überschaubaren Zeiträumen selbst herstellen. Regenwaldindianer machten es vor.


Fertige Biokohle

Fertige Biokohle für die Terra Preta Herstellung (Foto © www.barefootengineer.de)

von Jochen Schilk

Die englische Sprache kennt für das Sterben den etwas derben Ausdruck to bite the dust, und es ist bekannt, dass zahlreiche historische Kulturen buchstäblich »in den Staub gebissen« haben, weil sie der Pflege ihrer Böden nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt haben. Die einstmals in Siedlungen von Zehn- oder gar Hunderttausenden Menschen lebenden Indio-Zivilisationen im Amazonasgebiet gehören zwar auch zu den Untergegangenen, aber an einem mangelnden Bewusstsein für Bodengesundheit kann es hier nicht gelegen haben. Im Gegenteil, denn diese lange Zeit vergessenen Kulturen haben uns auf mindestens einem Zehntel der Fläche des riesigen Regenwaldgebiets menschengemachte, auch nach Hunderten und Tausenden Jahren noch immer hochfruchtbare Böden hinterlassen. Heutige Bauern erzielen auf dieser Erde fette Ernten, ohne sich allzu sehr abplagen zu müssen. Die mit »Terra Preta do Indio« (Portugiesisch für »indianische Schwarzerde«) bezeichneten Flecken von bis zu zwei Metern Tiefe unterscheiden sich schon rein optisch deutlich von der ansonsten extrem mageren, staubig-gelben Tonerde des Regenwaldgebiets, wo, abgesehen von einer hauchdünnen Humusschicht, fast das gesamte verfügbare organische Material in lebenden Pflanzen und Tieren eingebaut ist.

Die wissenschaftliche Wiederentdeckung der Terra Preta seit 1978 hat insbesondere in den letzten 20 Jahren bei vielen Leuten Aufregung verursacht – um nicht zu sagen: Sie hat eine gehörige Portion Staub aufgewirbelt. Denn das Geheimnis der Terra Preta scheint den Schlüssel gleich für eine ganze Reihe von dringenden Herausforderungen bereitzuhalten: Lösungsansätze für das Problem der globalen Abnahme der Bodenfruchtbarkeit, für hygienisch-sanitäre Probleme in vielen Teilen der Welt und nicht zuletzt möglicherweise sogar für die CO2-Problematik. Worin also besteht das Bodenrezept der im Zug der spanischen Eroberung des Kontinents verschwundenen Regenwaldindianer? Untersuchungen verschiedener Proben ergaben variierende Zusammensetzungen; in der Regel finden sich in den bis zu 7000 Jahre alten Böden jedoch Anteile von Bioabfällen, Gräten, Knochen sowie von menschlichen und tierischen Exkrementen. Das verbindende und entscheidende Element ist außerdem in allen Fällen die offensichtlich bewusste Zugabe von mindestens zehn Prozent kleinkörniger Holzkohle. Diese entsteht, wenn Biomasse bei niedriger Temperatur und unter Abschluss von Sauerstoff verschwelt wird. Mit ihrem sehr feinen Porensystem wirkt die sogenannte Biokohle im Boden wie ein Schwamm, der dauerhaft Nährstoffe und Wasser festzuhalten vermag. Zudem finden auf der Oberfläche der Kohle mikrobische Bodenorganismen (neben wassergelösten Stoffen gehören diese zum »Futter« der Pflanzen) ein optimales Biotop.

Wer jemals einen Komposthaufen angelegt hat, weiß, dass all die fleißig aufgeschichtete Biomasse zu einem enttäuschend kleinen Häufchen zusammenrottet. Oft werden mehr als Dreiviertel des Volumens noch im Haufen von Bodenorganismen veratmet; den ins Beet eingebrachten Rest zehren die Pflanzen bald auf.

Der Aufbau guten, humosen Bodens ähnelt somit einer Sisyphosaufgabe – wenn man kein strukturgebendes Substrat wie die Biokohle zur Verfügung hat, die die organische Materie und andere Nährstoffe über lange Zeiträume festhalten kann. Wie das funk­tio­niert, erklärt der Biologe, Chemiker und Agrarökologe ­Jürgen ­Reckin: »Untergemischte Biokohle verhindert, dass ein großer Anteil der organischen Substanz quasi in Rauch aufgeht, also vollständig zu Kohlendioxid und Wasser abgebaut wird. Bekanntermaßen wird Holzkohle, sogenannte Aktivkohle, in der Biochemie als Katalysator verwendet, um die Ausbeute an bestimmten erwünschten Substanzen zu erhöhen. In den Boden eingemischt, scheint die Holzkohle ebenfalls als Biokatalysator zu wirken, indem sie die Ausbeute an Humus entscheidend verbessert: Offenbar bewirkt sie, dass die relativ kleinen und instabilen Huminsäuremoleküle rascher als gewöhnlich zu stabilen Großmolekülen verkettet werden. Biokohle macht aus Humus Dauerhumus.« Dieser Effekt stellt Reckin zufolge »das eigentliche Wesen« der Terra Preta dar.

Allgemeingut für die Menschheit

Jürgen Reckin gehört zu jenen Pionieren, die das Phänomen nach Europa gebracht haben (siehe Oya 6). Im brandenburgischen Finowfurt verwandelte der leidenschaftliche Pflanzenkenner in nur fünf Jahren den aus dem typischen märkischen Sandboden bestehenden 800-Quadratmeter-Garten seines Elternhauses mit Hilfe des neuentdeckten Wissens in ein Schwarzerde-Paradies. Reckin experimentierte mit verschiedenen Zusammensetzungen und Methoden, und er schaffte das, woran andere Wissenschaftler zu jener Zeit noch nicht einmal zu denken wagten: Mit Hilfe seines Wissens über biochemische Prozesse sowie dank langjähriger Gärtnererfahrung konnte er praktisch zeigen, dass sich die südamerikanische Schwarzerde überall mit einfachen Mitteln nachmachen lässt. Bereitwillig erklärt der kleine, sonnige Mittsiebziger allen, die es wissen möchten, die zum Ziel führenden Wege. Nach den Erfolgen im eigenen Hinterhof lautet sein Credo: »Wir sollten Terra Preta unbedingt zu einem Allgemeingut der Menschheit machen!«
In einer seiner Methoden formt Jürgen Reckin aus Bioabfällen (mit einem hohen Anteil an kleingehäckselten Holzfasern) etwa 50 Zentimeter hohe Beete, mischt Urgesteinsmehl, Tonmehl und den obligatorischen Holzkohleanteil unter. Diese Beete gießt er regelmäßig mit Pflanzenjauche und Urin, den er in geschlossenen Plastikeimern unter Einsatz einer Mikroorganismen-Mischung einige Tage lang fermentiert, d. h. mit Hilfe der Mikroben-Enzyme aufschließt. Auf diese Weise kommen nicht nur die für die Verrottung zuständigen Mikroben massenhaft in den Kompost. Auch die vielen wertvollen Bestandteile des Urins, wie Stickstoff und Phosphor, gehen so in den Garten-Kreislauf ein. Ein solcher Weg zum Dauerhumus ahmt gewissermaßen den langwierigen Bodenaufbau im Wald nach; durch maschinelles Zerfasern des Holzanteils in der organischen Masse sowie durch gezielten Mikrobeneinsatz verkürzt Jürgen Reckin den Prozess allerdings auf nur wenige Wochen (bei warmen Temperaturen; im Winter sind die Mikroben kaum aktiv).

Indiotechnik erobert die Welt

Zurück in den Amazonas, wo die erstaunlichen Mengen an menschengemachter Schwarzerde auf eine Kulturlandschaft mit einst dichter Bevölkerung schließen lassen. Wie, so fragen sich einige Forscher, war es den Indiokulturen eigentlich möglich, unter den heiklen sanitären Bedingungen des feuchtwarmen Klimas in Städten zusammenzuleben? Kanalisationssysteme gab es offenbar keine. Wohin also mit den massenhaft anfallenden Küchenabfällen und Fäkalien, die in der Hitze rasch zum Problem werden? Teil des Rätsels Terra Preta sind die im traditionell hergestellten Schwarzerde-Boden überall sehr zahlreich zu findenden Tonscherben. Der Experte für Abwasserentsorgung Ralf Otterpohl von der TU Hamburg-Harburg hält es für denkbar, dass die alten Kulturen diese Scherben mit einer Art homöopathischen Botschaft impften, um die den Exkrementen eingeschriebenen Informationen ihrer »Produzenten« zu löschen und bezieht sich dabei auf Rudolf Steiner, der wegen dieser Problematik vor einer allzu frühen Rückführung menschlicher Ausscheidungen in den Nahrungskreislauf warnte.

Eine andere Hypothese vertritt Haiko Pieplow, der für das Bundesumweltministerium arbeitet. Für ihn deuten die vielen Tonscherben auf große Gefäße hin, in denen die Menschen ihre bedenklichen und unbedenklichen organischen Abfälle mitsamt dem obligatorischen Holzkohle-Einstreu fermentiert haben müssen – eine hygienisch und olfaktorisch übrigens ganz einwandfreie Angelegenheit, wie Experimente gezeigt haben. War der Inhalt nach einiger Zeit zu duftendem Humus gereift, so stellt Haiko Pieplow sich es vor, verwendeten die Indios die Terracotta-»Sauerkrautfässer« gleich vor Ort als Hochbeete für den Gartenbau.

Eine kleine Sensation bewegt im zu Ende gehenden Jahr 2011 die Terra-Preta-Begeisterten auf der ganzen Welt. Morgan J. Schmidt, ein Geograf von der Universität in Florida, entdeckte in der Nähe des Amazonasflusses Xingu, dass der dort beheimatete Indiostamm der Cuicuro offenbar noch Kenntnisse einer simplen Terra-Preta-Herstellungsweise besitzt. Die in einem Runddorf lebenden Mitglieder dieser traditionellen Gemeinschaft werfen ihre Bioabfälle zusammen mit Asche und Kohle auf hinter den Häusern befindliche Komposthaufen, wo sie sich in dauerhaft fruchtbare Gartenerde verwandeln.

Trotz ihres Überraschungscharakters dürfte diese Entdeckung allerdings langfristig nur den Rang einer kleinen Anekdote in der großen Terra-Preta-Story einnehmen, hegte doch zuletzt kaum noch jemand ernsthafte Zweifel daran, dass die Schwarzerde Amazoniens ein menschgemachtes Phänomen ist. Der Biokohle-Funke hat längst schon auf Gärtnerinnen, Visionäre, Geschäftsleute und Klimaschützer in der ganzen Welt übergeschlagen, denen es in erster Linie ums Machen und Verändern geht. Nicht wenige Mitglieder der deutschen Permakulturszene etwa sind inzwischen zu praktischen Versuchen im kleinen Stil übergegangen. Sie wollen wissen, ob die Technik tatsächlich die große Chance für die Gärtner dieser Welt ist, die sie zu sein scheint.

In größeren, etwas anderen Dimensionen denkt etwa die in Rheinland-Pfalz ansässige Firma Palaterra. Die Firmengründer sind bereits mit Windenergie zu Geld gekommen und stellen nun Schwarzerde in 20-Liter-Säcken her. Dass Palaterra in den letzten Jahren globale Patente auf ihr Terra-Preta-Verfahren anmeldete und offenbar zu einer Art Monopolstellung auf dem Weltmarkt drängt, ruft bei vielen Empörung hervor: Waren die einstigen Indio­gesellschaften des Amazonas nicht durch das Eindringen ­europäischer Kolonisatoren beraubt und ausgelöscht worden? Und bedeutet die nunmehrige Patentierung der alten indianischen Kulturtechnik nicht geradezu eine Neuauflage der historischen Ausbeutung mit anderen Mitteln?

Vielfacher Nutzen einer Open-Source-Technik

Für viele Menschen stellt das Schwarzerde-Vermächtnis aus dem Regenwald ein großes Geschenk für diese Zeit dar, für eine Welt, in der seit der neolithischen Revolution – und erst recht seit Einführung der industriellen Landwirtschaft – bereits unfassbar viel fruchtbarer Boden verlorengegangen ist. Ihr Potenzial, so heißt es, sei zu groß, die Sache zu hoffnungsvoll, um sie den ökonomischen Interessen weniger Firmen zu überlassen. Würde das Terra-Preta-Wissen in der Breite angewendet, ergäben sich nicht nur völlig neue Chancen hinsichtlich der Welt-Ernährungssituation. Wird in Zukunft massenhaft Dauerhumus hergestellt, so bedeutet das zugleich, dass große Mengen des problematischen Treibhausgases CO2 dauerhaft in der Erde gebunden werden.

Wie das? Bei der Verbrennung von Biomasse, wie in einem ­Lagerfeuer oder – langsamer – auf einem Komposthaufen, geht das in den Pflanzen gespeicherte CO2 wieder in die Atmosphäre ein. Anders beim Vorgang der Verschwelung: Das von den Pflanzen aus der Luft geholte CO2 bleibt hier etwa zu einem Drittel im Endprodukt, der Biokohle, dauerhaft stabil gebunden. Der Film »Humus – Die vergessene Klima-Chance«, herausgegeben von der österreichischen Ökoregion Kaindorf, wo man auf größeren Flächen mit Biokohle experimentiert, nennt die Zahl von 19 Milliarden Tonnen CO2, die sich in den Äckern der Welt auf diese Weise elegant unterbringen ließen – eine Idee, deren Umsetzung freilich sehr viel Biokohle sowie engagierte Akteure in allen Winkeln der Erde bedingt.

Abwasserexperte Ralf Otterpohl berät im afrikanischen Senegal eine 7000-Hektar-Farm, die allein ein Viertel des im Land benötigten Grundnahrungsmittels Reis erzeugt. Zuletzt hat seine Organisation den Arbeiterfamilien einige Holzgasöfen für das Kochen im Freien gebracht, auf die die Leute schon bald nicht mehr verzichten wollten. Bei diesen Öfen wird das Gas genutzt, das dem Holz bei der Verschwelung entweicht. Übrig bleibt nicht Asche, sondern Holzkohle, mit der man nach dem Gang auf die Komposttoilette sein »Geschäft« bedecken kann. Otterpohl strahlt, wenn er das Prinzip erklärt: »Ist es nicht wunderbar, wenn man mit solch simpler Technik derart nützliche lokale Kreisläufe schaffen kann?« 


Bereits erschienen in Oya - Bodenhaftung, Ausgabe 12/2012.

Ein weiterer Artikel "Schwarzes Gold" ist direkt auf der Oya-Webseite zu finden.

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