Wer heutzutage vom Arbeiten mit dem Land träumt, wer draußen sein möchte, mit Natur und Wetter leben und sein Einkommen selbstständig über einen landwirtschaftlichen oder gartenbaulichen Betrieb erwirtschaften möchte, hat es schwer, irgendwo anzufangen. Nicht selten sieht sich die Berufsanfängerin bald einem riesigen Schuldenberg gegenüber, der kaum mit dem zu bedienen ist, was die Fläche an Ertrag in ihrer Lebenszeit erbringen könnte. Denn wer nicht einen Hof und landwirtschaftliche Flächen erbt, muss Kredite aufnehmen, um Land und Maschinen kaufen zu können.
Kleinere Flächen sind eher zu finden und oft erschwinglicher als größere Felder oder ganze Höfe. Doch wie davon leben? Eine Möglichkeit bietet der biointensive Gemüsebau, der unter dem Stichwort »Market Gardening« in Deutschland bekannt geworden ist. Jean-Martin Fortier, kanadischer Gemüsebauer aus Quebec, publizierte dazu unter anderem das Buch »Le jardinier-maraîcher. Manuel d’agriculture biologique sur petite surface«, welches 2017 auf Deutsch unter dem Titel »Bio-Gemüse erfolgreich direktvermarkten: Der Praxisleitfaden für die Vielfalts-Gärtnerei auf kleiner Fläche. Alles über Planung, Anbau, Verkauf« erschien .
In den vergangenen Jahren sind mir im Permakultur-Netzwerk mehrere Menschen begegnet, die mit der Inspiration und der fachlichen Unterstützung von Fortier den Schritt in die Selbstständigkeit als Gemüsegärtner gewagt haben – obwohl sie allesamt keine gelernten Gemüsegärtner waren. Diesen spannenden gärtnerischen Ansatz und einige der Menschen, die es wagten, möchte ich hiermit vorstellen.
Gut durchdachtes Anbausystem
Jean-Martin Fortier betreibt gemeinsam mit seiner Frau Maude-Hélène Desroches seit 2005 die eigene, vier Hektar große Gemüsegärtnerei »Les Jardins de la Grelinette«. Beide haben, wie er selbst feststellt, einige Jahre mit Versuch und Irrtum verbracht, um zu einem passenden, ausgeklügelten System für intensiven Gemüseanbau auf ihrer kleinen Fläche zu finden. Inspiriert wurden beide von französischen Gemüsegärtnern sowie vom US-Amerikaner Eliot Coleman, den Fortier selbst als «Vorbild in Bezug auf Erfahrung und Innovation der Gemüse-Vielfaltsgärtnerei auf kleiner Fläche« bezeichnet.
Die Gärtnerei der beiden ernährt wöchentlich mehr als 200 Familien und sorgt für das Einkommen der vierköpfigen Familie. Eine wichtige Strategie und wichtiges Merkmal für die erfolgreiche Entwicklung der Gärtnerei war und ist es, »mit einem ›niedrigen Technologieniveau‹ auszukommen«. Dieser Ansatz sorgt dafür, dass nur geringe Startinvestitionen nötig sind, die Fixkosten dauerhaft niedrig bleiben und somit kaum finanzieller Druck entsteht.
Dies klingt zunächst nach viel harter Handarbeit, doch die im Betrieb verwendeten Werkzeuge sind den anfallenden Tätigkeiten bestens angepasst. Obwohl sie in der Regel rein mechanisch per Hand oder allenfalls mit kleinsten, meist elektrischen Motoren betrieben werden, wurden sie »doch hoch entwickelt und für eine bessere Arbeitseffizienz und Arbeitsergonomie entworfen«. Zudem sorgt die Art der Kulturführung dafür, dass der Beikrautdruck über die Jahre stark abnimmt und weniger Arbeit anfällt.
In diesem biointensiven Anbau wird ganz auf einen intakten, optimal gepflegten Boden geachtet. Fortier arbeitet mit erhöhten Beetbahnen. Beete und Wege sind dauerhaft festgelegt, damit die Beetflächen nicht betreten und nicht verdichtet werden. Die Beetflächen werden besonders in den ersten Jahren mit großen Mengen organischer Substanz (Kompost) versorgt, um Humus aufzubauen. Sie werden dauerhaft nur mit der Doppelgrabegabel (»Grelinette«) bearbeitet, um den Boden in der Tiefe zu lockern, ohne ihn dabei zu wenden. Das Ziel ist ein lockeres und nährstoffreiches Substrat, das gut und tief von Gemüse durchwurzelt werden kann.
In der Folge können die Pflanzen dichter als üblich gesetzt werden. Hierbei ist wiederum das Ziel, die Abstände der Pflanzen so zu wählen, dass sich die äußersten Blätter der Pflanzen berühren, wenn drei Viertel des Wachstums abgeschlossen sind. Dadurch wird eine vollständige Abdeckung des Bodens erreicht, Beikräuter kommen nicht ans Licht, und Feuchtigkeit wird im Boden gehalten. Hier ist es von Vorteil, dass keine Rücksicht auf die Maschinenbreiten von Traktor und sonstiger Technik genommen werden muss. Die Dauerbeete sind 75 Zentimeter breit, sodass man gut darübersteigen kann, ohne auf die Fläche zu treten. Wege werden 45 Zentimeter breit angelegt.
Außerdem streben die Fortiers die dichtest mögliche Kulturabfolge auf den Beeten an, um sie möglichst wenig ohne Pflanzenbedeckung liegen zu lassen. Zur Saisonverlängerung nutzen sie Techniken wie Jungpflanzenanzucht und Anbau im Gewächshaus oder die Abdeckung mit Vlies zum Schutz der Kulturen bei Kälteeinbrüchen.
Im Hinblick auf den Verkauf der Ernte steht für Jean-Martin Fortier die Direktvermarktung »im Zentrum der […] Landwirtschaft nach menschlichem Maß«. Er rechnet vor, dass bei einer Direktvermarktung stolze fünfzig Prozent bis zwei Drittel mehr vom Produktwert beim Gärtner verbleiben als bei einer Vermarktung seiner Produkte über den Handel. Dass man sich kennt, also eine Beziehung zwischen Produzenten und Kunden entstehen kann, ist bei direkter Vermarktung ein schöner Nebeneffekt.
All seine Erfahrungen – vom Geländekauf, über die Betriebsanlage mit Gebäudeeinrichtung und Beetanlage, Anbauplanung, Fruchtfolgeplanung, bis zu Kulturbesonderheiten und Vermarktung – hat Fortier niedergeschrieben, um »die Entstehung einer neuen Gärtnergeneration zu fördern«. Sein Ansinnen trägt offensichtlich Früchte. Nachfolgend drei Beispiele aus Deutschland.
Solawi Permaglück
Kerstin Mengewein lernte ich kennen, als sie das Permakultur-Basisjahr der Weiterbildung besuchte und dort verkündete, dass sie mit ihrem Mann eine Gärtnerei aufbauen wolle. Kerstin und Marcel Mengewein gründeten 2018 die Solidarische Landwirtschaft Permaglück und starteten 2019 in ihre erste Saison als Gemüsegärtner. Beide kamen über den gemeinsamen privaten Garten zum Gemüseanbau. Es folgten weitere
Erfahrungen und nachwirkende Eindrücke beim Permakultur Design Kurs. Die gelernte Bürokauffrau Kerstin startete nun eine zweite Ausbildung zur Biologisch-Dynamischen Landwirtin; Marcel verdiente bis dahin als Handwerker seinen Lebensunterhalt. Mit der Zeit wuchs die Idee von einer eigenen Gärtnerei. Sie hatten das Glück, von einem engagierten Biohof, der Bannmühle im pfälzischen Odernheim am Glan, Fläche pachten und so mit ihrer Gärtnerei gleich an ein aktives Netzwerk anknüpfen zu können.
Ihre Gemüsefläche liegt zwischen Feldern mit Spalieren von Tafeläpfeln und Wein des Biobetriebes. Die anfänglich 1200 m² Anbaufläche und 250 m² Folientunnel haben sich mittlerweile auf 2000 m² Freifläche und 350 m² Tunnel vergrößert. Angebaut werden rund 50 Kulturen Frischgemüse außer Kartoffeln und Zwiebeln. Damit werden nach anfänglich 40 heute 100 Mitglieder zwischen Anfang April und Mitte Dezember mit wöchentlichen Gemüsekisten versorgt.
»Wir waren beide so begeistert, motiviert und aufgeregt, dass es ein voll geiles Jahr war«, sagte Kerstin nach ihrem ersten Jahr als Gemüsegärtnerin. »Gemessen an einem möglichen Berufsabschluss waren wir grün hinter den Ohren«, doch trotzdem sei die Jungpflanzenanzucht, die sie komplett selbst machte, erstaunlich gut gelaufen, ebenso wie der gesamte Anbau. Dieser Erfolg war sicherlich auch ihrer guten Vorbereitung zu verdanken: Sie erstellten einen Geschäftsplan und eine Anbauplanung und besuchten dafür die Market Gardening-Masterclass von Jean-Martin Fortier. In diesem Online-Format wurde das Grundlagenwissen aus
Fortiers Buch vertieft und durch Handreichungen wie beispielsweise Excel-Tabellen zur Anbauplanung ergänzt. Im ersten Jahr hatten Kerstin und Marcel Mengewein zudem noch einen Nebenjob, um mit weniger Mitgliedern und moderaten Kosten starten zu können.
Ich fragte Kerstin nach ihren Lernerfahrungen vom ersten Jahr. Demnach hätten sie den Unkrautdruck auf der komplett neu angelegten Fläche unterschätzt. Schwierig sei es für sie auch gewesen, bei Kulturen wie Möhren oder Zuckererbsen abzuschätzen, wie viel Ernte ein Beet abwirft. Nach dem ersten Jahr stellten die Mengeweins zudem fest, dass es wohl sinnvoll wäre, das Getane mehr zu dokumentieren, um mit den Erfahrungen im nächsten Jahr besser planen zu können. All das laufe heute besser. Im Betrieb hat sich bei beiden übrigens eine Arbeitsteilung eingespielt. «Ich ernte, er wäscht«, sagt Kerstin augenzwinkernd.
Tatsächlich ist sie die Planerin im Betrieb, kümmert sich um Anbau- und Wochenplanung, um die Jungpflanzenanzucht und darum, wann welche Beete bepflanzt werden. Marcel ist gerne zuständig für jeglichen Technikbau, die Arbeit mit Einachser sowie für die Bewässerung. Unterstützt werden beide immer wieder durch Auszubildende der freien biodynamischen Ausbildung und durch mindestens drei Monate bleibende Praktikanten. Bei monatlichen Aktionstagen können zudem auch die Solawi-Mitglieder in den Anbau ihres Essens hineinschnuppern.
Prototopia
Über seinen Wunsch, auf und mit dem Land zu arbeiten, kam auch Falk Gärtner zur Gemüsegärtnerei. Der studierte Kommunikationsdesigner arbeitete zuvor für Film und Werbung und suchte etwas desillusioniert nach einem anderen Beschäftigungsfeld sowie generell nach einem anderen Leben. Er beschäftigte sich mit Permakultur und Waldgärtnern, gärtnerte zunächst auf Pachtgrund und kaufte dann ein Grundstück in der Nähe von Jüterbog in Brandenburg. Wie könnte hier, weit weg von größeren Städten und im landschaftsplanerischen Außenbereich, eine sinnvolle und rechtlich mögliche Nutzung aussehen? Landwirtschaft zu machen, schien die Lösung zu sein, doch was geht diesbezüglich auf 4,7 ha, die zu großen Teilen mit Bäumen bestanden und von Wald umgeben sind?
Falks Recherche und Planungen ergaben, dass Gemüsegärtnerei ein Einkommen erwirtschaften könnte. Und so fing er 2018 testweise auf einer ersten Fläche von 200 m² an, Gemüse anzubauen: schnell wachsende Salate und Radieschen waren die ersten Kulturen. Falk suchte Abnehmer und verkaufte seine Ernte zwei Monate lang an einen Bioladen und ein Spezialitätenrestaurant.
Gleichzeitig besuchte auch er die Online-Masterclass von Jean-Martin Fortier, worüber er heute sehr froh ist. Durch Fortiers Wissen habe er »zwanzig Jahre Erfahrung sammeln übersprungen«, außerdem wurden ihm Ängste genommen. Heute glaubt er: »Hätte ich es ohne Fortier gemacht, wäre ich voll auf die Nase gefallen.« So war dieser Kurs für ihn zwar teuer, »aber jeden Cent wert«. Neben den Publikationen und Kursen von Fortier halfen Falk außerdem das »Handbuch Wintergärtnerei« von Elliot Coleman und die Erfahrungsberichte des kanadischen Gemüsegärtners Curtis Stone. Wertvoll waren für ihn zudem die Hinweise, die Jean-Martin Fortiers Online-Kurs zur Vermarktung gab. Fortier beschreibt in seinem Buch, wie wichtig es sei, dass das Gemüse gut aussieht, damit es einen guten Preis erzielt. Falk bemerkt jedoch auch, dass es davon abhängig ist, in welcher Region man produziert, ob »Preise am oberen Ende vom Biopreis« tatsächlich gezahlt werden können. Es brauche zudem eine gelungene Kommunikation. Dazu gehöre, dass er als Gärtner zum Preis steht und vermittelt, dass handgemachtes Gemüse in dieser Qualität seine Wertigkeit hat.
Ein finanzielles Polster, das Falk sich in seinem alten Job aufgebaut hatte, half, um die Gärtnerei von Null an aufzubauen. Er investierte in Zäune, um das Wild draußen zu halten, kaufte Ansaattechnik, einen Minitraktor, ein 50 m²-Anzuchtgewächshaus, automatische Bewässerung und eine Gemüsewaschanlage. Nachdem er die ersten anderthalb Saisons allein gärtnerte, erhält er nun regelmäßig Hilfe von einer Teilzeitkraft, worüber Falk froh ist. Er hat weitere Flächen seines Grundstückes in Kultur genommen, und sein Gemüseangebot umfasst inzwischen unter anderem Schnittsalate, Asiasalat, Minigrünkohl, Kohlrabi, Minimöhren, Porree, Spinat, Rosenkohl, Teltower Rübchen, Rote und Gelbe Bete, Blumen und Kräuter. Er verkauft seine Ernte direkt an Restaurants und beliefert Verteilstationen, sogenannte Gemüsecoops. Dafür können die Konsumentinnen wöchentlich über den Webshop der Gärtnerei bestellen und zu festgelegten Zeiten das frische Gemüse an einer von gegenwärtig zwei Stationen abholen.
Auch Falk habe ich gefragt, was er Neuanfängern im biointensiven Gemüsebau mitgeben würde. Seine Antwort: »Vertrauen – es funktioniert wirklich, wenn man es lebt und umsetzt!« Es füge sich alles, und in »organischem Wachstum« entstehe ein Netzwerk. So kamen in seinem Fall mit der Zeit Menschen aus dem Dorf, um zu schauen, was er da macht; Austausch entstand, und Kontakte zu anderen Höfen entwickelten sich. Falk ist glücklich in dem Bewusstsein, für sich den »richtigen Weg eingeschlagen« zu haben. Im Anbaujahr 2023 hat er seine gesamte Produktion restlos verkaufen können und »kein Gramm Gemüse weggeschmissen«.
Gemüse für Gourmetgastronomie
Deutlich kleiner starteten Johannes und Livia Sehl im mittelhessischen Mehrenberg-Allendorf 2019 ihre erste Saison als Gemüsegärtner auf knapp 400 m² Fläche. Nahe der Großstadt Frankfurt am Main und ausgestattet mit entsprechenden Kontakten, schien der hauptsächlich auf die Spitzengastronomie ausgerichtete Anbau ein wirtschaftlich lohnender Ansatz. Ohne motorisierte Unterstützung begannen sie mit dem Anbau von Spinat, Zuckererbsen, Asiasalaten, Fenchel, Knollensellerie, Frühlingszwiebeln, Kopfsalat, Roter und Gelber Bete. Dazu kamen Kräuter, essbare Blüten und dank eines 144 m²-Folientunnels im Winter auch »Microgreens« genannte Gemüsekeimlinge.
Wegen der Corona-Maßnahmen ging der Verkauf über die Gastronomie zurück, sodass zusätzlich ein Verkauf ab Hof für Privatkunden eingerichtet wurde. Auf die Frage, warum er in den Gemüsebau eingestiegen ist, antwortete Johannes knapp: »Weil ich es kann.« – mit der kleinen Fläche, die ihm zur Verfügung steht. Das gesamte Grundstück umfasst nur 1200 m². Gern würde er auch noch andere Sachen machen, beispielsweise mehr Hühner halten, um die Eier zu verkaufen, doch dazu bräuchte es mehr Land.
Also wurde erst mal mit dem angefangen, was da ist, und das alte Gartengelände des kurz zuvor geerbten Hausgrundstücks neu in Bearbeitung genommen. Dabei wollte der gelernte Landschaftsgärtner Johannes eigentlich nie Gemüsebau machen. Doch als er bei Feldtagen den Gemüsehof von Johannes Storch kennenlernte und hier im Gemüsebau einen Boden kennenlernte, wie er ihn bis dahin noch nirgends in so guten Zustand gesehen hatte, weckte das sein Interesse. Mit der Lektüre von Jean-Martin Fortiers Buch kamen er und seine Frau auf die Idee, ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen.
Als Erfahrungswerte können sie teilen, dass das erste Jahr wohl in der Regel das härteste ist: In kurzer Zeit ist man zugleich mit dem Aufbau von Infrastruktur wie Beeten und Bewässerung sowie der Akquise von Kunden beschäftigt und sammelt erste Erfahrungen mit der Kulturführung im Anbau. Und wenn man ein altes Gartengelände wiedererweckt, ist man auch vor Überraschungen nicht sicher, etwa wenn bei der Beetanlage alte Fundamente entdeckt werden oder man zeitweise im Unkraut fast ertrinkt.
Jean-Martin Fortier: Bio-Gemüse erfolgreich direktvermarkten. Der Praxisleitfaden für die Vielfalts-Gärtnerei auf kleiner Fläche
Löwenzahn, 2017, 224 Seiten, ISBN-10: 3706626241.