Hintergrund und Idee
René:Schon fast eine Standardfrage, aber sicherlich trotzdem interessant für die Lesenden: Wie bist du zur Permakultur gekommen? Wie kamst du auf die Idee Permakultur mit Ökonomie und Volkswirtschaft zu verbinden?
Jens: Oh, das ist schon ein paar Jahrzehnte her: Während meines Studiums in Bremen habe ich für meine Studenteninitiative einen Workshop organisiert, für den wir Gäste in Prinzhöfte waren. Dort wurde damals schon nach Permakultur-Prinzipien geackert und gekocht – wovon allerdings nicht alle Teilnehmende begeistert waren. So ist das manchmal. Dann geriet mir die Permakultur einige Jahre aus dem Blickfeld, weil ich andere Themen auf dem Schirm hatte: Umwege erhöhen die Ortskenntnis.
René: Und wie kam's dann zur Permakultur-Renaissance in deinem Leben?
Jens: Einige meiner Volkswirtschafts-Studierenden an der Universität Mannheim machten mich darauf aufmerksam, dass das Thema Ernährung spannend ist: Von Lernenden können Lehrende am meisten lernen. So nahm ich das Thema wieder in den Blick und habe dann vor einigen Jahren einen Kurs bei Stefan Schwarzer in Tempelhof mitgemacht.
René: Das klingt nach Permakultur, doch wie kamst du auf die Idee, Permakultur mit Ökonomie und Volkswirtschaft zu verbinden?
Jens: Nun, ich bin Wirtschaftswissenschaftler, habe kurz nach der sogenannten Finanzmarktkrise am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim gearbeitet. Da hatte ich im Kontakt mit Ökonomen aus Asien und Europa immer stärker den Eindruck, dass die Ökonomie sich in ihren eigenen Paradigmen gefangen gesetzt hat. Das kennen die meisten Menschen aus ihrem Leben: Man hält am bekannten Unglück fest, weil das unbekannte Glück nicht oder besser noch nicht zu fassen ist. Das war sozusagen die eine Seite der Medaille.
Und die andere Seite war der Permakulturkurs in Tempelhof, in dem ich umringt war von begeisterten Permakultur-Gärtnerinnen und -Gärtnern, die mir allerdings etwas zu viel über's Mulchen diskutiert haben. Ich saß in dieser Runde und in mir lief der Film ab, wie denn die Permakultur-Prinzipien auf die Ökonomie übertragen werden könnten: Wie könnte eine inhaltliche Interferenz aussehen? Oder in der Permakultur-Sprache formuliert: Was passiert an den Rändern zwischen der naturorientierten Permakultur und einer technischen Ökonomie?
Von da an waren's einige Gespräche, viele Fragen und auch die Unterstützung von Stefan Schwarzer, Walter R. Stahel sowie Sven Lamers – und dann hatten wir für 2018 zum ersten PermaÖkonomie-Symposium eingeladen. Ob aus dem zarten Pflänzchen etwas entstehen würde, war noch nicht klar…
Ziel des PermaÖkonomie Symposiums
René: Welchen Themen habt ihr euch dann gewidmet? Und wohin soll das PermaÖkonomie-Symposium führen?
Jens: Im ersten Jahr haben wir uns zunächst mit der Frage gefasst, ob es denn zwischen Permakultur und Ökonomie überhaupt Berührungspunkte und Übergänge gibt. Mir war es damals schon ein Anliegen, dass wir einen doppelten Brückenschlag hinbekommen: zwischen Permakulturgestaltende und Ökonomen einerseits, auch zwischen Praktikern, also Unternehmern und forschenden Wissenschaftlern. Deswegen haben wir uns mitten reingesetzt ins Zentrum der klassischen Wirtschaftswissenschaften: Wir haben zeitweise am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung getagt, hatten auch Wirtschaftsstudenten der sogenannten Eliteuniversität Mannheim dabei. Am spannendsten waren nach Exkursionen auf's Land und eher theoretischen Abendvorträgen die Fingerhakel-Workshops, bei denen es darum ging, das Gelernte auch praktisch anzuwenden. Das war für mich sehr eindrücklich, wie die Teilnehmenden Permakultur-Prinzipien angewendet haben auf verschiedene Unternehmen von der Landwirtschaft bis zu Kindertagesstätten, oder auch auf Kommunalpolitik…
René: Das klingt fast so, als hätte es keine Klippen gegeben, die zu umschiffen waren…
Jens: Doch, die gab es wahrhaftig! Und das waren auch die Übergänge, an denen wir am meisten gewachsen sind: 2018 gab es einen Punkt, an dem die Teilnehmenden aus der Permakultur eine Haltung an den Tag legten nach dem Motto "Setzt einfach die Permakultur um, dann wird alles gut". Das kam natürlich nicht bei allen gut an.
Deswegen haben wir uns dann für 2019 bewusst ein kritisches Thema herausgesucht, dem sich die Permakultur zu stellen hat: "PermaÖkonomie und Wachstum" war das bewusst provokative Thema im Oktober 2019. Dabei ging es natürlich auch um die Frage, was wir denn unter Wachstum verstehen, jedoch auch, wie Permakultur und Ökonomie das jeweils Beste beisteuern können, um von- und miteinander zu lernen.
Der Anspruch ist klar: Wenn wir folgenreich sein wollen und einen positiven Fußabdruck hinterlassen wollen, dann müssen wir mutig rausfunken aus dem Kräuterspiralen-Universum und auch Menschen begeistern, die mit ihrem Kopf noch in einer anderen Welt stecken.
René: Und warum gehst du dann auf große Unternehmen wie die BASF zu?
Jens: Einmal weil die BASF – vermutlich ohne es zu ahnen – schon seit hundert Jahren nach Permakultur-Prinzipien unterwegs ist. Das größte Chemiewerk der Welt in Ludwigshafen am Rhein arbeitet nach dem Verbundprinzip. Und das ist nichts anderes als Kreislaufwirtschaft: Was im einen Prozess als Müll abfällt, wird in einem anderen wieder eingesetzt. Nur so kann die BASF in Deutschland überleben. Es gibt noch einen zweiten Punkt: Gerade die BASF spürt, dass die alten Geschäftsmodelle nicht mehr taugen. Sie können kein Geld mehr verdienen und auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zufriedenstellen, wenn sie noch eine Schiffsladung mehr an Chemikalien verkaufen. Die BASF macht sich auf den Weg zu – nennen wir's mal: "smarten Geschäftsmodellen". Ich rechne damit, dass irgendwann der BASF-Vorstand von der Permakultur lernen möchte. Große Unternehmen schmoren oft ebenso wie die Wirtschaftswissenschaft im eigenen Saft. Insofern ist ein drittes Argument für mich, dass wir darauf vorbereitet sein wollen, dass die BASF von uns lernen will, aber auch wir von der BASF lernen können!
Übrigens kann man statt BASF auch manch andere Unternehmen nennen: In der Rhein-Neckar-Pfalz-Region sind ja im 19. Jahrhundert einige Unternehmen entstanden, die für die industrielle Landwirtschaft vom Traktor bis zum Dünger allerhand erfunden haben. Ich bin mir recht sicher, dass deswegen eine nachhaltige Agrarrevolution nach Permakultur-Prinzipien aus diesen überkommenen Strukturen entstehen kann: Ich beobachte und interagiere, um die Ressourcen dieser Region weiterzuentwickeln – auch als Vorbild für andere.
Doch: Wir haben eine gute Mischung aus traditionellen und fortschrittlichen Unternehmen und Organisationen aus der Region und dem weiten deutschsprachigen Raum…
René: …was dir wohl nicht nur Zuspruch einbringen dürfte, sondern auch Kritik?
Jens: Zumindest mir gegenüber hat sich noch niemand kritisch geäußert. Freilich, ich könnte verstehen, wenn es solche Verbesserungshinweise gibt – auch weil ich selbst immer alle Aspekte in den Blick nehmen will. Für mich überwiegen die Argumente dafür, dass wir uns beim PermaÖkonomie-Symposium auch mit Wirtschaftsakteuren auseinandersetzen, die andere Sichtweisen haben: Viele Unternehmen stecken derzeit in einem Wandel, um in Zukunft überhaupt noch mitspielen zu können. Dass sie von Permakultur-Prinzipien profitieren können, liegt für mich auf der Hand. Diesen Umstand möchte ich als Chance nutzen und zwar in beide Richtungen: Indem wir Permakultur-Wissen in etablierte Organisationen hineintragen und auch von ihnen lernen. Auch die Permakultur ist ja stetig auf dem Weg und verändert sich.
René:»Symposium« klingt sehr wissenschaftlich: In welchen Formaten arbeitet ihr denn?
Jens: Bisher hat sich der methodische Dreischritt aus Exkursionen in die regionale Praxis, aus theoriegeprägten Abendessens-Vorträgen und Fingerhakel-Workshops bewährt…
René: …und Fingerhakel-Workshops sind bitteschön was?
Jens: Im Grunde ganz einfach: Ein Mensch skizziert kurz, wo er mit seinem Praxisprojekt steht, dann tragen wir in kleiner Runde zunächst Vermutungen zusammen, wieso es klemmt, und dann, wie es weitergehen könnte. Im Oktober kamen spannende Fälle zum Beispiel aus einer deutschen Bank, aus einem Gartenbaubetrieb und aus einem IT-Projekt für Solidarische Wirtschafts-Projekte zusammen. Wir haben die Vielfalt der Teilnehmenden genutzt, um durch das Miteinander eine Ernte einzufahren.
Neues Denken - Neue Ansätze
René: Warum müssen wir die gegenwärtigen Paradigmen der Wirtschaftswissenschaften neu denken? Wie können für dich Permakultur und Ökonomie zusammen gedacht werden? Was hat das für dich mit Kreislaufwirtschaft und "Lebensluxus" zu tun?
Jens: Oh, das sind nun viele Fragen, die einerseits recht grundsätzlich sind. Anderseits habe ich ja schon an Beispielen beschrieben, wo wir stehen und wohin die Reise geht. Um es ganz kompakt zusammenzufassen: Dass Wirtschaftstheorie und -praxis nach vierhundert Jahren ein Update brauchen, zeigt sich darin, dass die Ökonomie wichtige Fragen nicht mehr beantworten kann. Wie Krisen explodieren und wieso die Produktivität nicht mehr wächst, das sind Fragen, um die sich viele Wirtschaftsforscher gerne herummogeln. Dass Übernutzung von natürlichen Ressourcen einerseits und ein zunehmendes Ungleichgewicht von Vermögen und Einkommen andererseits in die Sackgasse führen, das spüren die Leute zunehmend auch im praktischen Leben. An diesem Punkt sind nun alle Menschen guten Willens gefragt, gute Vorschläge zu machen und diese immer weiter zu verbessern.
Und damit sind wir schon bei der zweiten Frage: Ja, Permakultur und Ökonomie können zusammen gedacht werden. Wir praktizieren das ja schon im kleinen Rahmen beim PermaÖkonomie-Symposium, indem wir Menschen und Ideen zusammenbringen, die durch ihre Vielfalt wachsen können.
Das führt zur dritten Frage: Kreislaufwirtschaft ist in gewisser Hinsicht das Schlagwort des PermaÖkonomie-Symposiums 2019, in dem wir ja überlegt haben, wie man mit Permakultur-Prinzipien wachsen kann. Das Schlagwort Lebensluxus könnte dann für das PermaÖkonomie-Symposiums 2020 stehen. Unter Lebensluxus verstehe ich, dass wir die kleinen und langsamen Lösungen wertschätzen lernen: So erlebbar das für manche Menschen ist, so fremd ist es für andere, die ihren Einkaufswagen mit Billigfleisch füllen. Diese Menschen wundern sich, dass sie quantitative Masse weder gesund, noch zufrieden macht. Ihnen eine attraktive Alternative zu bieten, sehe ich darin, "Lebensluxus" als qualitative Fülle zu beschreiben. Die Verhaltensökonomie kann dazu ein paar spannende Gedanken beitragen, doch das würde hier zu weit führen.
Zukunft des Symposiums
René: Okay, dann lass uns zum Schluss den Blick nach vorne werfen: Welchem Thema wird sich das nächste Symposium 2020 widmen?
Jens: Wie schon angerissen, soll es im kommenden Jahr um das Thema »Verteilung« gehen: Wie teilen wir die Ernte auf? Wie geht das logistisch und wie erleben das die Menschen als gerecht und motivierend? Ich gestehe freilich: Das sind nur die ersten Fragen. Weitere werden folgen. Das ist genau der spannende Erkenntnisprozess, in dem wir auch wieder Permakultur-Prinzipien anwenden: beobachten, Muster wahrnehmen, aus Vielfalt neue Einsichten gewinnen und durch Anwendung des Gelernten wieder neue Fragen und Antworten gewinnen.
Um diese Prinzipien noch wirksamer zu gestalten, könnte es 2020 noch weitere Formate geben: Ob handfeste Lern-Workshops gefragt sind, das überlegen wir derzeit. Spürbar ist, dass die Menschen mehr vom Reden zum Umsetzen kommen wollen. Darüber freue ich mich sehr!
René: Wie kann dich das Permakultur-Netzwerk dabei unterstützen?
Jens: Zunächst geht es nicht um mich: Ich kann lediglich etwas auf den Weg bringen, wenn es bei den Leuten als nützlich ankommt. Das Permakultur-Netzwerk kann zur Idee der PermaÖkonomie allerhand beitragen: Sie kann nicht nur Wissen und Erfahrung aus der Permakultur weitergeben, sondern auch die mutigen Fragen stellen, an denen sie selbst noch auf dem Weg ist und noch keine Antworten geben kann. Ich bin sehr sicher, dass wir dann gut weiterkommen, wenn Permakultur und Ökonomie sich auf Augenhöhe begegnen – auch wenn dabei zunächst Angst vor dem jeweils anderen mitspielen kann.
René: Konkret: Welche Anknüpfungspunkte und Synergien kannst du dir für die Zukunft vorstellen?
Jens: Wenn ich 'mal träumen und wünschen darf: Ich würde mich sehr freuen, wenn die Permakultur-Engagierten das PermaÖkonomie-Symposium als einen Teil ihres Netzwerkes verstehen möchten – als einen Teil, der einen Übergang darstellen kann. Wir haben beim vergangen PermaÖkonomie-Symposium vereinbart, dass wir für 2020 etwa 40 bis 50 Teilnehmende zusammentrommeln wollen. Ich würde mich freuen, wenn Permakultur-Netzwerke dazukommen.
Ich bin mir recht sicher, dass sich daraus Synergien ergeben werden.
Ich träume 'mal weiter nach vorne: Ein BASF-Pflanzenzüchter macht ein Praktikum bei einem Permakultur-Betrieb; der Bananen-Einkäufer von Real teilt sein Wirtschaftswissen mit dem Betriebsleiter einer Permakultur-Landwirtschaft; und alle zusammen entwickeln mit ihren jeweiligen Ressourcen eine Solawi-Software, die Amazon herausfordert.
Doch wahrscheinlich bin ich in diesen Träumen zu wenig mutig. Ich bin mir nämlich recht sicher, dass all das in den kommenden Jahren entstehen kann. Weil die Zeit für uns alle reif ist für einen Übergang auf's nächste Level.
Das nächste PermaÖkonomie Symposium findet am 15. und 16. Oktober 2020 in Mannheim statt und beschäftigt sich mit der Frage, wie die Ernte der Wirtschaft fair verteilt werden kann – also mit einem Fair-Share Thema. Weitere Informationen und die Anmeldung findest du unter www.permaoekonomie.de
Bereits erschienen auf permakulturblog.de. Alle Bildrechte © Jens Flammann