Permakultur-Appartement Berlin

Kreisläufe schließen in der Stadt: mit Wurmkompost und Bokashi wird wichtiger Dünger und frische Erde direkt selbst erzeugt. Dadurch werden zwei Balkone und die Wohnung in Berlin versorgt.


Gartenvorstellung: Permakultur-Appartement Berlin, Permakultur in Wohnung und Balkon

Gartenvorstellung: Permakultur-Appartement Berlin (Foto © Ökobuch)

Der Südbalkon Anfang Mai (Foto © Ökobuch)

Der Südbalkon Anfang Mai (Foto © Ökobuch)

Der Südbalkon ist im Sommer mit Pflanztöpfen belegt (Foto © Ökobuch)

Der Südbalkon ist im Sommer mit Pflanztöpfen belegt (Foto © Ökobuch)

Der Ostbalkon im Mai mit Pflanzkästen im Regal (Foto © Ökobuch)

Der Ostbalkon im Mai mit Pflanzkästen im Regal (Foto © Ökobuch)

Küchenkomposter für Bokashi: Hier entsteht neuer Dünger (Foto © Ökobuch)

Küchenkomposter für Bokashi: Hier entsteht neuer Dünger (Foto © Ökobuch)

Sicht in die Waldzone ganz unten auf dem Ostbalkon (Foto © Ökobuch)

Sicht in die Waldzone ganz unten auf dem Ostbalkon (Foto © Ökobuch)

Sicht von innen auf den Ostbalkon (Foto © Ökobuch)

Sicht von innen auf den Ostbalkon (Foto © Ökobuch)

von Leonie Woidt-Wallisser
(aus dem Buch »Permakultur im Hausgarten«)

Permakultur-Appartement Berlin – ein Überblick

Standort und Lage: Mietwohnung im 4.OG, Richtung Süd-Ost
Gesamtgröße der Anlage: Wohnung 180 m², Süd-Balkon 4,2 m², Ost-Balkon 4,2 m²
Bewirtschaftet von: Leonie Woidt-Wallisser + Familie
Kern-Elemente der Anlage: Mikro-Klimata, städtische Kreisläufe schließen, sozialer Treff- und Lern-Punkt, Saatgut akklimatisieren

Aufwand für Gestaltung und Erhaltung: Da wir in den zurückliegenden Jahren in verschiedenen Städten gewohnt haben, haben sich im Lauf der Zeit diverse Materialien und Objekte für den Garten angesammelt. Für die neue Wohnung in Berlin konnten wir beinahe alles davon wieder verwenden. Nur für den Bau der übereinanderliegenden Pflanztröge haben wir einmalig 200 € für Holz ausgegeben. Saatgut bekomme ich aus verschiedenen Ecken der Welt kostenlos. Für zusätzliches lokales Saatgut geben wir ca. 40 € jährlich aus. Kompost-Erde produzieren wir selbst – einmalig haben wir vor ca. 15 Jahren 3 Säcke Bio-Kompost Erde gekauft. Diese bildet noch heute die Grundlage für das, was da ist.


Wir, ein australisch-deutsches Ehepaar mit zwei Kindern, sind 2010 nach Berlin gezogen, nachdem wir vorher 13 Jahre in Amsterdam gewohnt haben, 8 Jahre davon in einer Wohnung mit Dachterrasse. Ich bin leidenschaftliche Gärtnerin und „Food Sovereignty Advokatur“ (sozusagen die Institution für Nahrungsbeschaffung), obwohl meine Familie ohne Zweifel über die Jahre genügend gelernt und mitbekommen hat, um zur Not das alles auch ohne mich zu betreiben.

Als Kind bin ich in einem Dorf am Rande des australischen Outbacks aufgewachsen. Unser Garten gab uns alles Nötige, um uns zu ernähren. Auch Hühner und Schafe weideten zwischen zahlreichen Obstbäumen und dem Gemüsegarten. Ständig wurde zwischen Familienmitgliedern, Nachbarn und Freunden getauscht, meist eimerweise: Eier gegen Limetten, Aprikosen gegen Granatäpfel usw. Geld spielte kaum eine Rolle. Wasser ist Mangelware in dieser Region der Welt, weswegen wir jeden Regentropfen in fünf 20.000 Liter Tanks gesammelt haben. Ein Teil des Daches war mit Solarpanelen gedeckt, die mehr als genug Energie für diesen Haushalt produzierten. Im Alter von 15 Jahren kam ich ins Internat in die 300 km entfernte Hauptstadt von Süd Australien. Seitdem habe ich nur in Großstädten gewohnt. Diese Vorgeschichte erscheint mir wichtig, um zu verstehen, warum ich nun Jahrzehnte später als Mutter in Deutschland meinen Kindern zeigen will, wie lokal ihre Nahrung produziert werden kann, welche Vielfalt ihnen damit zur Verfügung steht, wie sie sich selbst um Kreisläufe und die Erzeugung von Nahrungsmitteln kümmern können und wie das alles zu einem intakten Sozialleben beiträgt.

Urbane Permakultur auf dem Balkon – mit Wald- und Wildnis-Zone

Besser als jeder Fernseher sind die Vögel, die auf unserem Balkon nisten, und die Begeisterung für die Unmengen an unterschiedlichen Insekten, die sich die Mühe machen, in den vierten Stock zu fliegen, um dort teilweise auch selber eine Wohnung zu besiedeln. Unsere Hauptanbauflächen draußen sind die beiden Balkone. Der östliche Balkon ist innenliegend, hat also seitliche Wände, der südliche Balkon ist außenliegend. Beide Balkone haben eine gemauerte Brüstung. Auf dem östlichen Balkon herrscht ein gemäßigtes Kleinklima. Hier habe ich Tröge auf drei Etagen gebaut. Im unteren, verschatteten Trog ist die „Wald-Zone“, der zweite auf Hüfthöhe ist für tägliches Ernten und im oberen gedeiht ein wildes Blüten- und Kräuter-Beet, das nur mit einer Leiter zu erreichen ist. Diese Konstruktion ist an einem Ende mit Sträuchern und Kletterpflanzen bewachsen. Der übrige Teil des Balkons ist mit weiteren Kletterpflanzen, Trögen auf Rädern und verschiedenen Töpfen bedeckt. Einige von diesen vertragen keinen Frost oder extreme Temperaturen und können im Winter nach innen geholt werden. Durch die geschützte Lage des Balkons fühlt man sich dort sehr wohl und verweilt auch gerne länger.

Heißes Klima auf dem Südbalkon – mit Feigen, Zitronen und Trauben

Auf dem südlichen Balkon herrscht ein eher mediterranes Kleinklima. Im Sommer prallt die Sonne darauf, nur die untere Etage ist gegen die Einstrahlung etwas geschützt. Obwohl hier reichlich gemulcht wird, bleibt für die oberen Pflanzen, die fast immer Wind und Sonne ausgesetzt sind, der Standort extrem. Aus stabilen Bambusstäben habe ich ein Klettergerüst für Trauben u.ä. gebaut. Hier tobe ich mich richtig aus! Ohne Mühe können wir hier Zitrusfrüchte, Oliven und Feigen wachsen lassen und ernten. Ich erprobe auf diesem Balkon auch viel australisches Saatgut und versuche die Pflanzen an das hiesige Klima zu gewöhnen. Vor allem das Gemüse, das ich aus diesem Saatgut ernte, ist in Berliner Läden natürlich nicht zu bekommen. Viele Kräuter und Blüten wachsen im Überfluss. Diese werden getrocknet und für den „Wintergenuss im Haus“ eingepackt oder auch verschenkt. Um den Wasserverbrauch bzw. die Verdunstung zu verringern, wird beinahe alles auf diesem Balkon aus Wasserreservoiren versorgt. Die meisten Pflanzen halten im Hochsommer bis zu zwei Wochen mit der Wasserreserve aus. Über die Jahre habe ich viele verschiedene Systeme getestet und gebaut.

Da dieser außen vorgesetzte Balkon an der Hauptstraße liegt und Temperatur und Wind für uns meist zu extrem sind, um länger dort zu verweilen, öffnen wir Tür und Fenster und genießen diesen Balkon von innen. Es macht also nichts, dass dieser Balkon bis auf wenige Quadratzentimeter, die ich für meine Füße bei den gelegentlich nötigen Besuchen brauche, total vollgepflanzt ist. Größere Pflanzen hängen oft an der Balkonbrüstung herunter, die Nachbarn, die von unten an die Kürbisse usw. kommen, sind eingeladen, diese zu ernten.

Wichtig für beide Balkone ist, dass immer etwas blüht und es immer reichlich zu ernten gibt. Dabei ist der Winter keine „Auszeit“. Sowohl mehrjährige Pflanzen haben einen festen Platz in dem System als auch viele einjährige Arten, die gemeinsam eine Mischkultur aus Obst, Gemüse, Blumen und Kräutern bilden. Eine bunte Mischung aus einheimischen und exotischen Pflanzen lebt hier Seite an Seite. Die an die Balkone angrenzenden Zimmer sind klimatisch eine Erweiterung des außen herrschenden Mikroklimas. Wohn- und Badezimmer sind als tropische Zonen gestaltet, die Schlafzimmer werden eher kühl gehalten, und neben dem Platz für die Hausaufgaben wurden „Nasch-Bereiche“ eingerichtet. Die Fensterbänke und Regale in der Küche sind die einzigen Orte, an denen die Kinder alles abernten und naschen dürfen. In der restlichen Wohnung gibt es Grenzen, da sonst alles recht schnell komplett abgeerntet wäre. Küchenabfälle und überflüssiges Grüngut werden in drei Varianten kompostiert: passiv (also nur sammeln und auf die Verrottung warten), durch Fermentation zu Bokashi (wobei natürlich auch der anfallende Ferment-Saft genutzt wird) und mit Kompost-Würmern. Pilze, Keimpflanzen, Sprossen, Sämlinge, Stecklinge usw. füllen weitere Ecken der Wohnung. Jeder Ort, ob drinnen oder draußen, ob hell oder dunkel, hat seine Vorteile. Es kommt keine Mahlzeit auf den Tisch, ohne dass reichlich Zutaten aus dem 4.OG dabei sind.

Besonders gute Erfahrungen – mit dem Bokashi und Wurmkompost

Ohne Mulch würden die Tröge und Töpfe im Außenbereich hoffnungslos austrocknen – auf dem südlichen Balkon ist Stroh sehr effektiv, auf dem östlichen eine Kombination aus Stroh, kompostierten Blättern und lebendem Mulch (also kleine bodendeckenden Pflanzen). Letztere werden immer gewechselt und teilweise auch im jungen Stadium geerntet. Alle drei Kompost-Systeme haben ihre eigenen Vorteile, allerdings begeistert mich für städtische Situationen die Bokashi-Kompostierung am meisten. Vorteile sind ein geringer Platzbedarf und die Eignung fast aller anfallenden organischen Stoffe, um einen tollen Dünger daraus zu erzeugen. Die gute Integration unserer Nachbarn begeistert mich ebenfalls. Viele, die sich bisher nur auf eine dekorative und konventionelle Gestaltung ihrer Balkone beschränkt hatten, haben nun auf essbar und biologisch umgestellt. Wir tauschen Saatgut und Kleinpflanzen aus, ernten und essen zusammen und unterstützen einander während der Ferienzeit. Zusammen planen wir momentan eine Umgestaltung des Innenhofs. Das gilt auch für mein Arbeitsumfeld, meine Freunde und besuchende Familien. Bei der Arbeit in einem Architektur-Büro, keine zwanzig Minuten zu Fuß entfernt, wurde ein ähnliches Begrünungsprojekt verwirklicht, allerdings mit viel mehr Außenraum. Hier können die Mitarbeiter in manchen Jahreszeiten ihr Mittagessen selber ernten oder auch schnell zum nächsten Heilpflanzen-Strauch laufen, wenn sich ein Husten ankündigt oder Bauchschmerz plagt. Dies ist auch ein interessanter Ort für Besichtigungen von urbanen Permakultur-Gruppen, die ich leite – bisher Erwachsene, im nächsten Monat fange ich mit einer Kindergruppe an.

Weniger gute Erfahrungen mit Lerneffekt

Einiges an Pflanzgut aus Amsterdam habe ich verloren, einfach weil das Klima in Berlin ganz anders ist und ich nicht rechtzeitig aufgepasst habe. Spannend war es, einen „richtigen“ Winter zu erleben und damit umzugehen. Im Innenraum ist auch viel mehr auf unerwünschte Krabbeltiere zu achten und in Berlin ist der Innenraum ein ebenso wichtiger Teil des Gartens wie es die Balkone sind. Frustrierend bleibt die Qualität des vom Dach gewonnenen Regenwassers, nicht zuletzt, weil mir der Platz fehlt, um eine Test-Zone zur Wasserreinigung einzurichten.

Fazit der bisherigen Zeit

Zwei Freundinnen haben mir dieses Jahr Saatgut aus Indien und Kolumbien mitgebracht, um es in Berlin zu testen. Auch ein japanischer Koch hat mich gefragt, ob ich Versuche mit einem japanischen Gemüse machen möchte. Da ich gerne meine Grenzen erweitere, bin ich gespannt auf die neuen Erfahrungen und Resultate. Zuhause gehe ich Jahr für Jahr mehr zu mehrjährigen Pflanzen über und probiere auch für uns immer Neues aus. Ständig werden die verschiedenen Plätze optimiert und neue Konstruktionen errichtet, um auf die Bedürfnisse des Systems zu reagieren. Insgesamt bleiben meine Mikro-Gärten die Orte, an denen ich wirklich zur Ruhe komme und die mich durch ihre artenreiche Natur faszinieren. Auch meine ansonsten eher wenig beanspruchte „Computer-Muskulatur“ bekommt dort immer mal wieder etwas Neues zu tun.

 


Dieser Beitrag ist aus dem Buch »Permakultur im Hausgarten« und wurde uns freundlicherweise vom Ökobuch Verlag zur Verfügung gestellt.

Jonas Gampe: Permakultur im Hausgarten – Handbuch zur Planung und Gestaltung, Ökobuch, 2016, 144 Seiten

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