von Markus Lanfranchi
Das Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie treibt zuweilen erstaunliche Blüten. Die Schweizer Volksinitiative "Für sauberes Trinkwasser" wurde 2021 vom Dachverband Bio Suisse, dem grössten Schweizer Label für biologische Landwirtschaft, zur Ablehnung empfohlen. Die Initiative ist dann tatsächlich mit über 60 Prozent Gegenstimmen an den Wahlurnen gescheitert. Sie hätte sauberes Wasser und gesunde Böden gefördert. Der Einsatz von synthetischen Pestiziden in Produktion und Verarbeitung von landwirtschaftlichen Produkten wäre verboten worden. Direktzahlungen wären nur noch möglich gewesen auf Grundlage eines ökologischen Leistungsnachweises zur Erhaltung von Biodiversität und pestizidfreier Produktion.
Da frage ich mich allgemein als Mensch und speziell als Biobauer: Wie kann man gegen Massnahmen zugunsten von sauberem Trinkwasser sein? Ist aus dem "Hoffnungsträger Bio" tatsächlich bloss noch ein Verkaufsargument und ein Geschäftsmodell industrialisierter Landwirtschaft mit Gütesiegel geworden? Für einige Biobauern war nun klar: Das tragen wir nicht mehr mit. Das geschieht nicht in unserem Namen! Aus unserer Empörung entstand die Arbeitsgruppe »Weiterentwicklung Bio«. Mit minimalen Strukturen und frei von hierarchischer Ordnung gründeten wir den Verein BioEtico. Wir handeln selbstverantwortlich nach der Maxime: »Wir wollen das uns anvertraute Land besser hinterlassen als wir es vorgefunden haben, denn künftige Generationen von Organismen aller Arten sind den Folgen unseres Wirkens ausgesetzt.«
Natürlich stellten wir uns die Frage: Braucht es wirklich noch ein weiteres Label? Was wollen wir eigentlich mit unserer Aktion? Wofür wollen wir unsere Zeit und Energie investieren? Die Vermarktung unserer Produkte läuft bestens, auch ohne Label. Denn unsere Kunden vertrauen uns Produzenten, weil sie uns kennen. Vielmehr geht es darum, eine auf Eigenverantwortung basierende Selbstdeklaration transparent zu gestalten, um unser eigenes Tun laufend in Frage zu stellen und zu verfeinern. Unser Bestreben ist ein ethischer Umgang innerhalb der Menschheitsfamilie, der Tier- und Pflanzenwelt, aber auch gegenüber Erde, Luft und Wasser. Als integraler Teil der Natur versuchen wir uns in Richtung der Nische zu bewegen, die für das »Säugetier« Mensch vorgesehen ist.
Die grosse Wertschätzung gegenüber unserer speziellen Aufgabe als Hüterinnen unserer Böden drücken wir durch unsere positiv-aufbauende Wirkung unserer Arbeit aus. Wir fördern Vielfalt auf allen Ebenen und respektieren das natürliche Prinzip des Werdens und Vergehens. Themen sind zum Beispiel: Humusaufbau, regenerative Anbaumethoden, individuelle Kraftfutterherstellung (FeedNoFood), gesunde und natürliche Nahrungsmittel, Energiesuffizienz, Abfallvermeidung und soziale Ethik.
Die Selbstdeklaration eines unserer Mitgliedsbetriebe bringt es sehr gut auf den Punkt: »Es kann nicht sein, dass der gegenwärtig politisch einflussreichste Bauer dasselbe Label hat wie ich!« Denn in der Schweiz ist der Bauernverband in einer sogenannten "Geld-und-Gülle-Allianz" mit Politik und Wirtschaft verbandelt, die ein System aufrechterhält, das auf Subventionen, Verschuldung und Raubbau beruht. Offensichtlich können wir daher nicht auf einen politischen Paradigmenwechsel hoffen. Deshalb positionieren wir uns als neue Kraft im ökologischen Landbau als Land-Hirten, um der Wirtschaft das Recht abzusprechen, auf Kosten der Elemente und Ressourcen unsere Mit- und Nachwelt auszubeuten, zu degradieren oder gar zu zerstören.
Wir leben in der Schweiz in einer der reichsten Gegenden der Welt, im Quellgebiet unzähliger Gewässer, welche stromabwärts die Lebensgrundlage von Milliarden von Menschen, Tieren und Pflanzen bilden. Wenn wir es uns nicht leisten, unsere gütige und grosszügige Erdenmama zu entlasten oder gar zu heilen, wer dann?
Mit grossem Interesse verfolgen wir Bestrebungen in verschiedenen Weltgegenden, in welchen ein Eigenrecht der Umwelt eingefordert und umgesetzt wird: In Neuseeland wurde dem Whanganui River, dem Mount Taranaki und dem Urewera Urwald juristische Eigenständigkeit verliehen. Das Recht auf Unversehrtheit ist auf Verfassungsebene garantiert. Auch in einigen Staaten Südamerikas wird der Schutz von Pachamama (Mutter Erde) verfassungsrechtlich garantiert. Selbst in den USA, am Great Salt Lake in Utah, wird über das Umweltrecht debattiert.
Die Verwerfungen unserer Zeit verlangen neue Protagonisten mit neuen Visionen! Die Blockaden in den Köpfen einer kritischen Masse müssen schmelzen, um Platz zu schaffen für zeitlose Konzepte, welche sich in ihrer Logik und Schlichtheit aufdrängen. In unserem komplizierten Wertesystem stossen solche jedoch zuweilen auf erbitterten Widerstand. Bestimmt sprechen wir damit allen aus der Seele, die sich Permakultur, regenerativer Landwirtschaft oder schlicht Bio zugehörig fühlen. Unsere Anforderung an BioEtico-Landhirtinnen ist ein simpler zertifizierter Biostandard, unwichtig ob Bioverordnung, Knospe oder Demeter als Label genutzt werden, Hauptsache das »Bio« in unserem Namen wird nicht als Feigenblatt genutzt. Daneben haben wir eine Vielzahl von Landhirtinnen ohne Betriebsnummer, die uns mit ihrer Energie, ihren Erfahrungen und Talenten bereichern.
Trotzdem, oder gerade weil wir in diesen superkapitalistischen Zeiten BioEtico nicht als kommerzielles Label nutzen wollen, sondern als ansteckendes Selbstverständnis verstehen, möchten wir Permakulturistinnen einladen, unsere Webseite zu besuchen und in der Folge bei uns Mittäterinnen zu werden (zwei Schweizer Permakultur-Betriebe sind bereits dabei!). Die Wirkung unserer Introspektion, welche mit der Selbstdeklaration einhergeht, manifestiert sich auf vielfältige Weise: Muss ich den Motor des Traktors wirklich anschmeissen, um meine Aufgabe auszuführen? Ist mehr tatsächlich mehr oder reicht genug? Sind materielle Investitionen zwingend oder basieren sie auf vermeintlichen Konventionen? Wie schaffen wir engere Verbindung mit den uns umgebenden Elementen, Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen? Im besten Fall bewegen wir uns von einer ertragsorientierten Sichtweise hin zu einem echten Zugehörigkeitsgefühl zur Erde, auf der wir stehen - mit Atemluft, die von Pflanzen gesäubert und aufbereitet wurde und Wasser, das freundlicherweise an uns vorbeifliesst.
Mitte Oktober veranstaltet BioEtico jeweils ein Erntedankfest, um unserer Dankbarkeit an Erde, Luft und Wasser Ausdruck zu verleihen. Eine vielfältige Gruppe von Landhirtinnen und Sympathisanten findet sich in einem unserer BioEtico-Höfe ein. Gemeinsam tauschen wir Erfahrungswissen aus, debattieren über unsere Zugehörigkeit zu unserer Mitwelt oder finden Wege aus der Verschuldungsfalle Landwirtschaft. Dank der lockeren und freudvollen Atmosphäre entstehen Momente einer Gemeinschaft, die den Zeichen der Zeit Rechnung trägt und ein Gefühl der Selbstermächtigung festigt, die Veränderung nicht bloss zu fordern, sondern selbst umzusetzen.
