Landwirtschaft der Zukunft

Zwei neue Bücher zum Thema „Agroforst“ zeigen einen landwirtschaftlichen Ansatz, dessen Potenzial für Artenschutz, Klimakühlung und Ernährungssicherheit womöglich gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.


von Jochen Schilk

Beide Publikationen verfolgen das Ziel, die Leserschaft mit Informationen für die Praxis zu versorgen. So war ich als Laie froh, auf diese Weise von zwei erfahrenen Praktikern lernen zu dürfen.

Noemi Stadler-Kaulichs Titel “Dynamischer Agroforst“ erschien mit Crowdfunding-Unterstützung und verspricht im Untertitel „Fruchtbare[n] Boden, gesunde Umwelt, reiche Ernte“. Der spezifische Ansatz ist, wie die Autorin selbst schreibt, weitgehend identisch mit dem, was der Schweizer Ernst Götsch unter dem Schlagwort „syntropische Landwirtschaft“ in Südamerika macht – mit dem Unterschied, dass Dynamischer Agroforst in tropenfernen Zonen keine dichten Wälder, sondern eher lichte, artenreiche Waldrandgärten zum Ziel hat. Im Kontrast zu dieser Methode steht der artenärmere Agroforst-Ansatz, bei dem Baumreihen auf dem Acker gepflanzt werden („alley cropping“).

Die Autorin definiert Dynamischen Agroforst als „ein Konsortium dicht stehender und hoch diverser Pflanzenarten, die, dem Vorbild der Natur folgend, in ihrer Gesamtheit ein produktives System ergeben, das seine Ressourcen überwiegend durch natürlich ablaufende Prozesse bewahrt, obwohl periodisch Ernteprodukte entzogen werden“. Weiter erklärt sie, dass die dichte Bepflanzung und der große Artenreichtum den Entwicklungsprozess in solchen Produktionssystem „dynamisieren“. Und auch Pflegearbeiten müssten „dynamisch“ gestaltet werden, da dieses „Produktionssystem einem kontinuierlichen Wandel unterworfen ist, den der Mensch beständig antizipieren muss, um proaktiv korrigierend einzugreifen, damit die Bedürfnisse der Nutzpflanzen nach Raum und Licht erfüllt werden“. So modellieren regelmäßig auszuführende Schnittmaßnahmen die Vegetation hinsichtlich einer guten Produktivität und führen dem Boden über das Mulchen notwendiges organisches Material zu, mit dem die Bodenfruchtbarkeit gefördert wird und erhalten bleibt.

Das Buch versorgt die Lesenden auch mit zum Teil grundlegendem Wissen, so zur Theorie der Kompostwirtschaft oder zum Mulchen. Die Kapitel zu Biokohle-Herstellung und -Einsatz („Terra Preta“), zur biologischen Funktionsweise von Begleitbäumen, zu von Bäumen an die Umgebung abgegebenen Wurzelsymbionten sowie zu anderen Baum-Ökosystemleistungen sind dagegen schon deutlich themenspezifischer. Weiter finden sich im Buch Pflanzenlisten und verschiedene Beispiele von Pflanzdesigns für eher kleine Parzellen. Die schönen Illustrationen stammen von der Mutter der Autorin. An das Ende ihres Buchs hat Noemi Stadler-Kaulich eigene biografische Informationen und vor allem die Beschreibung ihres agroforstlichen Versuchsgeländes in Bolivien gestellt. Ich empfehle, diese Seiten vorab zu lesen, weil man hier der Verfasserin gleich viel näherkommen kann – was die Lektüre der theoretischen Kapitel noch angenehmer machen dürfte. Weil beim Dynamischen Agroforst artenreiche, naturnahe, multifunktionale, essbare Ökosysteme angelegt werden, kann wohl gesagt werden, dass es sich praktisch um Permakultur par excellence handelt.

Überzeugt von dieser Herangehensweise ist auch Jonas Gampe, der Autor von „Letzter Ausweg: Permakultur. So krempeln wir unsere Landwirtschaft um und sichern unser Überleben“. Da in der heutigen ökologisch-ökonomisch-klimatischen Situation bekanntlich eine weitreichende Reform der gesamten Landwirtschaft vonnöten ist, versucht Gampe allerdings, den Ansatz auf größere Flächen auszudehnen – wobei er dann bei Varianten des bereits erwähnten „Alleen-Beackerns (alley cropping)“ landet, das die Nutzung vorhandener Maschinen integriert. Weil er als Planer hier bereits einige Erfahrung sammeln konnte, weiß er, wovon er spricht. „Warum nur im Kleinen Gutes tun, wenn man die ganze Welt verändern kann?“, fragt er ganz zu Beginn seiner Ausführungen mit Blick auf das riesige Potenzial der globalen Landwirtschaft. Die Restrukturierung dieses Sektors mittels massiver Gehölzpflanzungen, so der Autor, würde zahlreiche ökologische, ökonomische und soziale Probleme lösen helfen. So würden die angedachten Veränderungen auf diesem Feld bereits ausreichen, nicht nur „den Klimawandel innerhalb kurzer Zeit komplett auszubremsen, sondern würden auch sämtliche Hungersnöte beheben, überall sauberes Trinkwasser bereitstellen und das menschengemachte Artensterben stoppen“. Permakultur sei also ein veritabler „Gamechanger“.

Es ist interessant, dass Jonas Gampe seine Vision nicht etwa unter einem modischen Schlagwort wie „Agroforst-Revolution“ laufen lässt, sondern diese Ehre lieber der Permakultur überlässt – wurde letztere bislang doch eher mit Planungen für kleinflächige Lösungen assoziiert. In seinem Buch finden sich tatsächlich auch Beispielplanungen für Hausgärten oder etwa eine Anleitung für die Pilzzucht auf der Fensterbank; doch den Hauptteil nimmt die exemplarische Planung großer Flächen ein. Detailliert werden dabei jeweils die zu erwartenden Investitionen (Zeit, Geld) sowie Erträge vorgerechnet. Angesichts von zuweilen recht gering angegebenem Pflegeaufwand bei zugleich verblüffend hohen Erntemengen, gerät der Laie dabei mitunter ins Staunen.

Ob dieses reich mit Fotos und Zeichnungen ausgestattete Buch tatsächlich die größeren Landwirtinnen gewinnen kann, ist freilich schwer zu sagen. Auf jeden Fall aber stehen am Umstieg interessierten Flächenbesitzern mit den beiden vorliegenden Titeln nun hervorragende Grundlagenwerke zur Verfügung, die das Planen, Anlegen und Bewirtschaften enkeltauglicher Landwirtschaftsstrukturen anschaulich erklären. Es ist ein schöner Zufall, dass sich die beiden Bücher dabei so wundersam ergänzen.


Dynamischer Agroforst – Fruchtbarer Boden, gesunde Umwelt, reiche Ernte von Noemi Stadler-Kaulich, oekom, 2021, 396 Seiten. ISBN: 978-3-96238-320-6

Letzter Ausweg: Permakultur – So krempeln wir unsere Landwirtschaft um und sichern unser Überleben – Konzepte, Pläne, Hintergrundwissen von Jonas Gampe, Löwenzahn, 2021, 240 Seiten.

ISBN: 978-3-7066-2690-3


Bereits erschienen in Oya Ausgabe #67/2022 Von Kühen und anderen Verwandten.

 

 

 

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