Landleben und Miteinander statt Fachbuch und Ohneeinander

Erfahrungsbericht über das Orientierungsjahr Artgerecht leben lernen auf Hof Luna am LernOrt Lebendige Landwirtschaft in Everode.


Hi, wir sind die Permi-Boys. Lustig, denn wir sind eigentlich drei Mädels: Mirja (24), Hannah (27) und Julia (27). Diesen Namen haben wir einem herzallerliebsten Praktikanten, Jonas, der absurde Situationen mit “oh boy” kommentierte, zu verdanken. Es muss ein lustiger Abend ums Feuer gewesen sein, an dem wir uns drei Permis mal wieder richtig aufgedreht über Geschichten aus dem Alltag kaputtgelacht haben. Jonas guckte uns an, dann in die Runde und sagte laut: “Oh boy, die Permi-Boys”. Das war die Taufe, denn alle lachten. Jonas ist mittlerweile wieder weg, doch unser Name blieb.

Wir Permi-Boys leben seit März 2020 auf dem Demeter und Arche Hof Luna. Da die letzten Wochen unseres Orientierungsjahres Artgerecht leben lernen im Februar 2021 angebrochen sind, möchten wir uns die Zeit nehmen, zurück zu schauen und dir einen Einblick geben, wie es ist, hier auf Hof Luna zu leben und zu lernen. Doch erst einmal schauen wir zurück zu dem, was uns hierhergebracht hat.

Vorstellen und Motivationsgründe

Drei verschiedene Menschen, drei Geschichten, drei Wege, die irgendwie zum gleichen Ort geführt haben. Hannah hatte gerade ihren Master in internationaler Entwicklungszusammenarbeit beendet und im Anschluss einige Zeit in Spanien verbracht. Julia studierte in Schweden und war noch mit dem Schreiben ihrer Masterarbeit zum Thema Urban Farming beschäftigt. Und Mirja war nach einem Reisejahr, das sie im Anschluss an ihren Bachelor in Bio und Sport gestartet hatte, wieder in Deutschland angekommen. Von da sind wir gestartet.

Bevor wir hierherkamen, waren wir alle irgendwie auf der Suche. Auf der Suche, ja wonach denn eigentlich?

Mirja suchte nach einer natürlichen Art zu lernen und nach natürlichem, sinnvollen, lebensbejahenden Wissen. Julia sehnte sich nach Gleichgesinnten und anderen “Träumern” und Visionären. Hannah wollte konkrete Lösungen und Werkzeuge für den Wandel finden.

Jede von uns ist an diesen Punkt gekommen, wo sie sich gedacht hat: “Es muss doch auch anders gehen?!” Begriffe wie Nachhaltigkeit, Gemeinschaft, Permakultur, Selbstversorgung spukten durch unsere Köpfe, klopften erst leise, dann immer lauter an. Das warf viele Fragen auf über die Gesellschaft, das Wirtschaftssystem, in dem wir leben, über den „richtigen“ Lebensstil und über Möglichkeiten, etwas zu verändern.

Jede von uns hat Erleichterung gespürt, als sie das Orientierungsjahr entdeckt hat. Es war wie eine Antwort auf unsere Suche – auf jeden Fall der erste Schritt zu einer Antwort. Und jetzt, fast am Ende unseres Jahres wissen wir mit Bestimmtheit: “Es war genau das, wonach wir gesucht hatten”.

Damit auch du einen kleinen Einblick bekommst, wie das Leben als Permi-Boy so aussehen kann, nehmen wir dich mit auf eine kleine Reise durch unser Jahr.

Alltag zwischen Morgenstund' und Eigenzeit

Was steht heute an? Ist es das Ernten einer Kultur, die vor dem ersten Frost aus dem Boden muss? Oder ist es das Mulchen von den Erdbeerbeeten? Ist es das Fermentieren von dem so farbenfroh gewordenen Kohl? Ist es vielleicht eine bestimmte Theorieeinheit zu einem Thema, das ansteht? Oder gibt es irgendwelche Vorbereitungen für Kurse zu treffen, die jetzt im Winter anstehen?

Um den groben Überblick zu behalten, fängt jeder Montagmorgen mit einer Wochenbesprechung an. Das ist gut, denn es kann ziemlich wild werden über die Woche, vor allem in der Sommerzeit. Aber keine Panik. Dazu gibt es jeden Morgen eine kleine gemütliche Frühstücks-Arbeitsbesprechung zu den konkreten Arbeitsschritten für den Tag.

Hört ihr es raus? Der Alltag auf Hof Luna ist kunterbunt, strukturiert, und dennoch sehr flexibel. Frühstück gibt es um 8:30 Uhr, Mittag um Punkt 13:00 Uhr, dann geht es in die zweistündige Mittagspause, bevor es zurück an die Arbeit am Nachmittag geht. Abendzeit ist Eigenzeit. „Das war erstmal recht neu und ungewohnt für mich“, erinnert sich Mirja.

Die Essenszeiten sind die sozialen Treffpunkte des Tages. Wir kommen zusammen und genießen das hauptsächlich selbst angebaute und immer frisch zubereitete Essen. „Es gibt für mich nichts Schöneres als das frische Gemüse aus dem Garten zu ernten, dann mit vollen Körben zurück zum Hof zu radeln und gleich daraus etwas für alle zu kochen“, findet Mirja. „Bei all den bunten Kräutern und unterschiedlichem Gemüse kann man seiner Kreativität freien Lauf lassen in der Küche“, strahlt Julia.

Du siehst, es gibt viele Aufgabenfelder: Es gibt den Garten mit seinen über das Jahr verteilten Aufgaben: (Hügel)beete entwickeln und anlegen, einpflanzen, säen, krauten, kompostieren, beobachten, ernten, Ernte mit frechen hungrigen Tieren teilen, Pflanzen pflegen, mulchen.

„Die Gartenarbeit nimmt einen großen Platz im Alltag ein, da zu der Pflege des Gemeinschaftsgartens auch ein eigener Garten kommt, den wir gestalten und um den wir uns kümmern dürfen“, erzählt Mirja.

Der zweite große Part neben dem Garten ist die häusliche Selbstversorgung. Die Verarbeitung der Ernte, also sowohl das tägliche Kochen als auch Einmachen, Einkochen oder Fermentieren. Apropos Fermentieren: das Brotbacken gehört auch dazu. „Wie viele Brote ich jetzt hier wohl schon gebacken habe? 200? Bestimmt!“, schmunzelt Mirja. Wir haben auf jeden Fall einiges über Sauerteige, Gehzeiten, über Getreidesorten und Falttechniken gelernt. Außerdem toben wir uns am „Mo-Pro-Monday“ (Molkereiprodukte-Montag) beim Käsen und bei der Zubereitung von frischen Aufstrichen, oft bei schwungvoller Gute-Laune-Montagsmusik, aus.

Zwischen den unterschiedlichen, oft neuen Aufgaben ist es bedeutend, Zeit zum Integrieren, zum Reflektieren und einfach zum SEIN zu haben. „Das ist ein sehr wichtiger Faktor für mich. Denn gerade weil es hier so viel zu tun und zu lernen gibt, braucht es auch den Ausgleich“, predigt Mirguru, wie wir sie öfters nennen.

Wir schätzen sehr, dass der eigene Lernweg und die inneren Prozesse hier ihren Raum finden dürfen und auch sollen. „Die regelmäßigen Redekreisrunden und vor allem der intensive Austausch mit den anderen Teilnehmerinnen des Orientierungsjahres haben mir sehr dabei geholfen“, lächelt Hannah.

„Im Großen und Ganzen ist das Jahr wirklich ziemlich genial organisiert, mit einem guten Ausgleich von Arbeitsstunden und Eigenzeit“, findet Hannah. „Und Alltag?! Der Alltag hat sich für mich erst sehr spät nach einem Alltag angefühlt. Die Aufgaben sind so vielseitig wie ein bunter Blumenstrauß“, sagt Julia.

Herausforderungen und Glücksmomente

Eine Herausforderung für uns alle lässt sich ganz gut mit dem Wort Balance zusammenfassen. Wie finde ich eine Balance zwischen Luna-Alltag und Anforderungen von der Welt da draußen? Was ist eine gesunde Balance zwischen Gemeinschaftsleben und Eigenzeit? Und ganz wichtig hier: die Balance zwischen Arbeit und Entspannung.

“Mir wurde schnell deutlich, wie wichtig die Zeit ist, in der ich mich zurückziehe und durchatme, um all den (wunderbaren) Trubel zu verarbeiten”, denkt Julia zurück.

Bei den Glücksmomenten sind wir uns auch ziemlich einig. Die Herausforderungen sind gleichzeitig mit das schönste, das, bei dem wir am meisten gelernt haben. Neben der Gemeinschaft, der Vielfalt an Aufgaben und Lernbereichen, dem vielen Draußensein, der Arbeit in der Erde und dem Gefühl von Verbundenheit untereinander.

“Für mich sind die Herausforderungen gleichzeitig auch das Bereicherndste und Wertvollste an dem Jahr. Es gab Momente, in denen ich nicht wusste, wie ich die Inhalte und deren Nebeneffekte (innere Prozesse) mit meinem Leben außerhalb des Hofs vereinen kann. Mein größter Glücksmoment war die Erkenntnis, dass es sehr wohl möglich ist, das alles unter einen Hut zu bekommen und dass der Weg dahin mich viel gelehrt hat: Prioritäten zu setzen, Grenzen für mich zu ziehen, klare Kommunikation in meinem Leben zu etablieren”, berichtet Hannah.

“Und das Beste: Ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Sinnvoll für mich, für mein späteres Leben, für die Erde und ihre Bewohner”, bemerkt Mirja glücklich.

Unsere Aha-Momente

Ein Aha-Moment ist, wenn du etwas erfährst von dem du nicht wusstest, dass du es nicht wusstest. “Schon allein diese Definition war ein Aha-Moment für mich”, lacht Mirja. Wir alle könnten mehrere Seiten füllen mit den vielen Momenten, in denen es Klick gemacht hat. “In meinen sechs langen Uni-Jahren hatte ich nicht die Hälfte an Aha-Momenten, wie ich sie in regelmäßigen Abständen in diesem einzigen Jahr auf Hof Luna erfuhr. Viele Aha-Momente haben in einem Lachanfall geendet, da ich es so absurd fand, dass ich es vorher noch nicht wusste”, platzt es aus Julia heraus. Hier ein kleiner Ausschnitt unserer größten Klicks:

“Mich hat es sehr beeindruckt wie zufrieden ich mit dem einfachen Leben auf dem Lande bin”, fängt Mirja an. “Mir ist in diesem Jahr noch mal sehr stark bewusst geworden, was ich wirklich brauche, um glücklich und gesund zu leben. Das ist nicht viel und auch gar nicht so schwer: Eine sinnvolle, erfüllende und abwechslungsreiche Aufgabe (hier: Gartenarbeit, Selbstversorgung der Hofgemeinschaft und Lernen für und über mich und meine Zukunft), Menschen mit einer ähnlichen Vision (Gleichgesinnte) und das Gefühl von Verbundenheit und Natur.”

Hannah erzählte daraufhin, wie weit sie vorher von einem naturnahen Leben entfernt war und wie oft sie dies während des Jahres überraschend oder fast schockierend realisiert hatte. “Auch wenn ich mich vor diesem Jahr schon als Naturliebhaberin und sehr nachhaltigkeitsbedacht bezeichnet hätte, ist es faszinierend, wie viel mehr Nähe ich heute zur Natur spüre. Das ist das, was mich persönlich berührt hat.”

“Pflanzen produzieren aus Wasser, Kohlendioxid und Lichtenergie Zucker und Sauerstoff, den Sauerstoff brauchen wir zum Atmen und den Zucker als Nahrung. Also noch abhängiger von der Natur können wir Menschen nicht sein“, lacht Julia auf und ist kurz darauf beschämt, dass sie dies erst nach 26 Jahren Lebenserfahrung auf die Kette kriegt. “Die Verbundenheit habe ich stets irgendwie gespürt, jedoch haben mich hier das theoretische Wissen, die tägliche Praxis im Garten oder die Spaziergänge im Wald immer wieder umgehauen.” Julia macht direkt weiter mit ihrem zweiten “dicken, fetten Aha-Moment”. “Die Naturverbindung hat mich insofern umgehauen, weil ich kontinuierlich aufs Neue erfahren durfte und letztendlich erkannt habe, dass ich Teil der Natur bin, dass wir alle Teil davon sind. Der natürliche Rhythmus oder Zyklus im Jahresverlauf haben mir ebenfalls sehr viel über meinen bzw. den weiblichen Zyklus im Monatsverlauf gelehrt. Es gibt Phasen voller Energie, Produktivität und Kreativität und es gibt Zeiten des Rückzugs, der Ruhe und des Kräftesammelns. Lasst mich lieber nicht anfangen”, erzählt Julia mit leuchtenden Augen.

Na gut, Mirja übernimmt. “Ein weiterer Aha-Moment für mich ist, Dinge wie Heizung, Warmwasser und Wasser aus der Leitung generell nicht mehr als selbstverständlich zu sehen. Dadurch, dass wir hier die Heizung selber mit Holz betreiben, hat ein warmes Zimmer einen ganz anderen Wert bekommen. Und eine kleine Aufgabe, nämlich das Duschwasser aufzufangen und dann als Klospülung weiterzuverwenden, hat bei mir viele Denkprozesse angestoßen bezüglich unserer Wassernutzung. Das beides wirkt bei mir nach und entwickelt sich weiter”, erzählt Mirja.

Um es nicht ausufern zu lassen, schließt Hannah die Runde mit dem letzten Aha-Moment. “Wenn ich mir Zeit nehme für mich selbst, für Herzensthemen und Menschen, erweist sich das konstant als das Richtige. Es hat mich sehr gerührt, immer wieder zu erleben, was Vertrauen, ein bisschen Mut und eine unterstützende Gemeinschaft bewirken kann. Die wunderbare Begleitung von unseren Mentor*innen Cheryl, Sonja und Thom ist hier ein ganz großer Faktor.”

Und Permakultur?

Tja, und wenn wir das Gesagte in einem Wort zusammenfassen müssten, ein Wort, welches unseren Prozess und die Lebensinhalte der letzten Monate beschreiben müsste, dann wäre es PERMAKULTUR. Je länger wir uns theoretisch mit der Permakultur befassten, desto klarer wurde uns, wie sehr nicht nur der Alltag unserer Mentor*innen am LernOrt sondern auch unser Orientierungsjahr nach den Prinzipien und Methoden der Permakultur gestaltet wurde. Hier wird Permakultur gelebt und wir sind mitten drin!

Der LernOrt Lebendige Landwirtschaft auf Hof Luna ist für uns wie eine manifestierte Form des Permakultur-Begriffs, der hier durch Routinen, Aufgabenbereiche, Rituale, Kommunikation und zwischenmenschlichem Umgang aus seinem theoretischen Sein zum Leben erweckt wurde. “Ja, eben ganz nach dem Motto: Walk your talk and talk your walk” erinnert sich Julia an einen Merksatz aus ihrem Permakultur Design Kurs.

Wir selbst haben an eigenen permakulturellen Designs gearbeitet. Jede von uns bekam ein 80 m² großes Stück Garten, welches wir selbstverantwortlich planen, vorbereiten, gestalten und pflegen durften. Die derzeitigen Dokumentationen unserer Design-Prozesse zeigt uns nochmal, wie viel wir innerhalb eines Jahres dabei gelernt haben. Zu den Garten-Designs kamen zweite Projekte, die für uns alle unterschiedlich aussahen. Während Julia sich mit dem Wissen und dessen Weitergabe von Heilkräutern, Mirja sich tiefer mit dem Thema Selbstversorgung beschäftigte, fand Hannah Gefallen an ihrem sozialen Design, bei dem es um Gemeinschaftsbildung ging. Ein bunter Blumenstrauß an Designs, und es hört nicht auf: Die Lernweg-Designs für unser “Leben nach Hof Luna” stehen schon in den Startlöchern.

Zu der intensiven Beschäftigung mit unseren Designs, kamen weitere herausgegebene Monatsaufgaben hinzu, die unser Jahr mitgestaltet haben. Von dem ressourcenschonenden Bauen eines Gartenelements, über Sitzplatz- und Beobachtungsübungen, hin zu der Ausarbeitung einer Geländeskizze und verschiedener Reflektionsübungen, war so einiges dabei. Die genannten sowie nicht genannten Elemente des Jahres setzten verschiedene Prozesse in Gang, und ergaben ein Zusammenspiel zwischen inhaltlicher und praktischer Arbeit, persönlicher Entwicklung und Wissenserweiterung. Dies wurde von Anfang an liebevoll, methodisch und hilfreich von unseren Mentor*innen begleitet. Wir schauen auf ein rundes Jahr zurück und gehen größer, reicher und stärker aus dem Jahr heraus und staunen (k)ein letztes Mal, was ein Jahr Permakultur mit einem so machen kann! Wir sind sehr dankbar, uns dieses Jahr geschenkt zu haben.

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Also unser Vorschlag an dich: Nimm dir Zeit für die wirklich wichtigen Dinge in deinem Leben. Für uns war das Orientierungsjahr Artgerecht leben lernen der Ort und der Raum, wo dies stattfinden durfte.

Und was bedeutet Artgerecht leben für dich?

Aho,

Eure Permi-Boys

 

Hier geht es zum nächstem Art-Gerecht leben lernen: Orientierungsjahr am Permakultur-LernOrt. Es startet am 1. März 2023.

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