Kritische Sicht auf Permakultur

Der folgende Beitrag ist ein von indigenen Organisationen und Aktivistinnen verfasstes kritisches und konstruktives Feedback an alle Befürworterinnen und Befürworter der westlich geprägten regenerativen Landwirtschaft und Permakultur. Wir möchten es gerne an unsere Leserschaft weitergeben. Es lädt uns dazu ein, nicht einfach nachhaltige Praktiken indigener Kulturen ohne deren Kontext zu übernehmen, sondern tiefer zu gehen und auch deren Sicht auf die Welt einzubeziehen. Auf diese Weise inspirieren die Verfasserinnen zu einem Bewusstseinswandel, der uns hoffentlich dabei unterstützt, von einer dominanten Kultur der Beherrschung zu einer Kultur überzugehen, die auf Gegenseitigkeit, Respekt und Wechselbeziehungen mit allen Lebewesen beruht – auch unter uns Menschen.


Übersetzt von Stephanie Rauer

Regenerative Landwirtschaft und Permakultur erheben den Anspruch, die Lösungen für unsere ökologischen Krisen zu sein. Beide bedienen sich zwar an Praktiken indigener Kulturen, lassen aber unsere Weltanschauungen außen vor und setzen das Muster der Auslöschung unserer Geschichte und unserer Beiträge zur modernen Welt fort. Die von der »nachhaltigen Landwirtschaft« geförderten Praktiken sind zwar wichtig, aber sie umfassen nicht die tiefgreifenden kulturellen und Beziehungsveränderungen, die für unsere kollektive Heilung notwendig sind.

Wo ist die »Natur«?

In der regenerativen Landwirtschaft und der Permakultur ist oft die Rede davon, was »in der Natur« geschieht: »In der Natur ist der Boden immer bedeckt«, »In der Natur gibt es keine Monokulturen«. Die Natur wird als getrennt, außerhalb, ideal, perfekt betrachtet. Der Mensch muss Biomimikry (Nachahmung des Lebens) betreiben, weil wir außerhalb des Lebens der Natur existieren. Indigene Völker sprechen von unserer Rolle ALS Natur. (Tatsächlich haben indigene Sprachen oft kein Wort für Natur, sondern nur einen Namen für die Erde und unser Universum.) Als Zellen und Organe der Erde bemühen wir uns, unsere Rolle als ihre Pfleger und Betreuer zu erfüllen. Wir bezeichnen uns oft als »Weber«, die die Bande zwischen allen Wesen stärken.

Tod bedeutet nicht gleich tot

Regenerative Landwirtschaft und Permakultur halten oft an der »toten« Weltsicht der westlichen Kultur und Wissenschaft fest: Felsen, Berge, Erde, Wasser, Wind und Licht beginnen alle als »tot«. (Zum Beispiel: »Lasst uns dem Boden wieder Leben einhauchen!« Was bedeutet, dass der Boden ohne Mikroben tot sei.) Diese Weltanschauung geht davon aus, dass Leben nur dann entsteht, wenn diese Elemente auf eine bestimmte und besondere Weise zusammengebracht werden. Indigene Kulturen sehen die Erde als eine Gemeinschaft von Wesen und nicht von Objekten: Alle Materie und Energie ist lebendig und bewusst. Berge, Steine, Wasser und Luft sind Verwandte und Vorfahren. Die Erde ist ein lebendiges Wesen, von dem wir alle ein Teil sind. Leben entsteht nicht nur, wenn diese Elemente zusammengebracht werden. Leben ist immer vorhanden. Kein »Ding« ist jemals tot; Leben bildet und verwandelt sich.

Vom Urteilsdenken zum Beziehungsdenken

Regenerative Landwirtschaft und Permakultur halten an allzu simplen Zweiteilungen fest, indem sie sich auf Gut und Böse festlegen. Umgraben ist schlecht, nicht umgraben ist gut. Mulchen ist gut, nicht zu mulchen ist schlecht. Wir müssen nur die »guten« Dinge tun, um den idealisierten, zu 99,9 % biologisch nachgeahmten Bauernhof oder Garten zu erreichen, obwohl wir nie so rein oder gut »wie die Natur« sein werden, weil wir von ihr getrennt sind. Indigene Kulturen teilen oft die Ansicht, dass es kein Gut, Schlecht oder Ideal gibt – es ist nicht unsere Aufgabe, darüber zu urteilen. Unsere Aufgabe ist es, zu hegen, zu pflegen und zu weben, um Beziehungen im Gleichgewicht zu halten. Wir geben uns dem Land hin: Unser Atem und unsere Hände beleben seine Gärten und verbinden unsere Lebenskraft miteinander. Niemand wird durch unsere Berührung befleckt. Wir haben die Fähigkeit zu heilen wie jede andere Lebensform auch.

Unsere Worte formen uns

Regenerative Landwirtschaft und Permakultur verwenden Englisch als bevorzugte Sprache, unabhängig von Geografie und Kultur: Man muss zuerst Englisch lernen, um von den Paten dieser Bewegung zu lernen. Die englische Sprache urteilt und objektiviert und verwendet Wörter, die in den meisten indigenen Sprachen nicht vorkommen: »natürlich, kriminell, Abfall, tot, wild, rein...« Das Englische verwendet auch Begriffe wie »Dinge« und »sein«, wenn es sich auf »nicht lebende, untermenschliche Wesen« bezieht. Bei den indigenen Kulturen ist jede Sprache aus dem Ort entstanden und daher eng mit ihm verbunden. Die Inuit haben Dutzende von Wörtern für Schnee und seine Bewegung; die polynesischen Sprachen haben Dutzende von Wörtern für die Wellen des Wassers. Um einen Ort zu kennen, muss man seine Sprache sprechen. Es gibt keine Einheitsgröße und keine Wörter für nicht-lebende oder untermenschliche Wesen, denn alles Leben hat den gleichen Wert.

Menschen sind Land

Regenerative Landwirtschaft und Permakultur haben den Anspruch, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen. Bei der Regeneration einer Landschaft wird »alles« berücksichtigt: die Gesundheit des Bodens, die Wasserkreisläufe, die lokale "Tierwelt", Einkommen und Gewinn. Dieses »Alles« neigt jedoch dazu, die Geschichte auszuschließen: Warum wurde indigenen Völkern ihre Heimat gestohlen und warum wurden unsere Völker und unser Land vergewaltigt? Warum wurden unsere Kulturen ausgelöscht? Warum muss unser Wissen von der »Wissenschaft« bestätigt werden? Warum sind wir immer noch von der »Heilung« unseres Landes ausgeschlossen? In den indigenen Kulturen gehören die Menschen zum Land und nicht das Land zu den Menschen. Die Heilung des Landes muss die Heilung der Menschen einschließen und umgekehrt. Die Anerkennung und Verarbeitung der emotionalen Traumata, die in unseren Körpern als Nachkommen von angegriffenen, versklavten und vertriebenen Völkern stecken, ist notwendig für die Heilung des Landes. Die Rückgabe unserer Rechte, das Land, das uns geboren hat, zu pflegen, zu bewirtschaften und mit ihm in Beziehung zu treten, ist Teil dieser Anerkennung.

Kompostierung

Regenerative Landwirtschaft und Permakultur teilen oft die Botschaft der Umweltschützer, dass die Welt im Sterben liegt und wir sie »retten« müssen. Der Mensch ist giftig, aber wenn wir uns bemühen, können wir eine »neue Natur« der Harmonie schaffen, die allerdings nicht so harmonisch ist wie die »alte Natur«, die vor der Menschheit existierte. Für diese Mission müssen wir die Natur an die erste Stelle setzen und uns selbst für »die Sache« opfern. In den indigenen Kulturen wird die Erde oft als ein Ort betrachtet, der sich in einem ständigen Wandel befindet. Gegenwärtig befinden wir uns in einem Zyklus der großen Zersetzung. Wie bei jedem Kompostierungsprozess gibt es Unbehagen und das Wissen, dass der Tod uns immer zur Wiedergeburt führt. Innerhalb dieses großen Zyklus haben wir alle eine Rolle zu spielen. Das Erkennen und Heilen all unserer eigenen Traumata ist die Heilung der Traumata der Erde, denn wir sind eins.


Wie geht es jetzt weiter?

Die indigenen Völker, die nur 6,2 % der Weltbevölkerung ausmachen, verwalten 80 % der biologischen Vielfalt der Erde und bewirtschaften über 25 % des Landes. Indigene Weltanschauungen sind die Grundlage für unsere landwirtschaftlichen Praktiken und Lebensweisen. Wir laden Dich ein, Deine täglichen Praktiken auf diese Weise zu erden, während wir gemeinsam auf kollektive Heilung hinarbeiten. Das kannst Du tun:

  • Lerne, auf wessen Land Du lebst, seine Geschichte und wie Du die kulturelle Wiederbelebung unterstützen kannst.
  • Schaue Dir die Filme Gather und Aluna an.
  • Verstärke die Stimmen und Geschichten von indigenen Völkern und Organisationen. Unterstütze die Mitwirkenden dieses Beitrags, spende für sie und lerne von ihnen. Hilf mit, diesen offenen Beitrag bekannt zu machen.

Mitwirkende:

  • CulturalSurvival / Galina Angarova
  • Māori Waitaha Grandmothers Council & Region Net Positive / Tanya Ruka
  • NEN_NorthEastNetwork / Seno Tsuhah
  • Society for Alternative Learning & Transformation African Biodiversity Network / Simon Mitambo
  • Center for Indigenous Knowledge and Organizational Development / Bern Guri
  • EarthIsOhana @LoamLove / Kailea Frederick
  • RegenAgAlliance.org / Reginaldo Haslett-Marroquin
  • Linda.Black.Elk / Tatanka Wakpala Model Sustainable Community
  • CulturalConservancy / Melissa K. Nelson PhD
  • NatKelley
  • GatherFilm
  • AGrowingCulture
  • Terralingua.Langscape
  • FarmerRishi
  • KameaChayne

Hier geht es zum englischen Originaltext.

Nach oben