Krise als Ressource

Kulturelle Veränderungen liegen in der Luft, passieren oder sind nötig. Das spüren viele gegenwärtig. Wie empfinden das Menschen aus dem Permakulturnetzwerk im deutschsprachigen Raum? Dazu haben wir Beat Rölli und Sabrina Furrer aus der Schweiz, Harald Wedig aus Deutschland und Valerie Seitz aus Österreich in einem gemeinsamen digitalen Gespräch befragt.


Hallo nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz. Euch vier verbindet, dass Permakultur einen grossen Teil Eures Lebens einnimmt. Wo seid Ihr gerade aktiv? Was begegnet Euch in Eurem permakulturellen Wirken?

Harald: Ich bin seit vielen Jahren mit Permakultur unterwegs. In den letzten Jahren sind mir die vielen Prepper aufgefallen, die sich ein Nest bauen wollen, das krisenfest ist. Und möge die westliche Zivilisation dann bitte untergehen und am besten schnell, damit man nicht so lange auf eine bessere Zukunft warten muss. Das hat mich aufgeregt, aber auch angeregt, weiterzudenken. Ich habe seit meinen Anfängen nicht nur gelernt, wie wir uns selbst versorgen, sondern auch ein Bewusstsein entwickelt: Wenn wir ernsthaft Lösungen suchen, können wir sie ganz oft finden. Wir brauchen nicht nur einzelne Rettungsboote, sondern wir müssen unsere Insel im Weltall erhalten als lebenswerten Raum. Und das hat mich dazu geführt, Permakultur mittlerweile mehr als Bewusstseinsarbeit zu sehen und nicht als Vorbereitung für den Ernstfall. So frage ich mich heute: Wie bringe ich das in mir gewachsene Bewusstsein so unter die Leute, dass es da wirksam wird? Das Bewusstsein, dass eben nicht alles am Ende ist, sondern dass wir als Menschheit vielleicht gerade erst angefangen haben.

Valerie: Genau das beschäftigt mich auch. Wie können wir die Wirksamkeit und das Positive verstärken? Und da ist für mich die Vernetzung unter uns Permis, aber auch zu allen anderen parallelen Netzwerken wichtig. Und ich bin sehr happy, dass sich die Netzwerke in den letzten zehn, zwanzig Jahren verwoben haben. Jetzt geht es darum, die Menschen abzuholen, die da noch nicht drin sind. Es wäre schön, wenn wir sie durch die realen Projekte inspirieren können. So wie du gesagt hast, Harald, gibt es bereits Lösungen. Menschen leben die Lösungen, machen wir sie zugänglich!

Dafür mache ich viel europaweite Vernetzungsarbeit. Das ist sehr viel Technik, wie online agieren, Datenbankendesign und Ähnliches. Die Technik ist manchmal ein Fluch, aber sie kann helfen, zugänglicher zu sein und Inhalte zu vermitteln. Auf lokaler Ebene merke ich, dass zunehmend Interesse da ist. Die Leute nehmen an unseren Kursen teil oder besuchen Veranstaltungen. Sie wollen sich untereinander austauschen. Da gibt es ein »Wir«, auf der lokalen Ebene genauso wie länderübergreifend.

Beat: Permakultur goes Mainstream. Das ist bei uns in der Schweiz ein großes Thema. Beispielsweise bieten Landwirtschaft und Hochschulen seit einigen Jahren Permakulturkurse an. Ich durfte da an der Hochschule für Landwirtschaft in Zollikofen von Beginn an dabei sein. Inzwischen haben sie viel eigenes Knowhow und brauchen mich zum Teil nicht mehr. Es ist toll, dass diese Hochschule ein Modul zu Permakultur in ihre Ausbildung integriert, weil dort die Leute ausgebildet werden, von denen einige in landwirtschaftlichen Schulen unterrichten werden.

Neu sind auch die Bio-Arbeitskreise für Permakultur von Probio. Sie ermöglichen Erfahrungsaustausch unter Landwirten über Permakultur. Für mich privat ein großes Thema ist die Situation auf unserem Hof. Das Haus ist abgebrannt. Das ist eine Krisensituation. Und jetzt müssen wir schauen, dass wir das auf die Reihe bekommen und neu bauen.

Sabrina: Bei mir geht es ganz stark ums Tun und ums Sein. Ich bin in den Vereinen Permakultur Schweiz und Permakultur-Landwirtschaft aktiv. Und da geht es oft darum, wie wir Freiwilligenarbeit gut  organisieren, wie wir unser Wissen und unsere Ressourcen besser teilen können. Wenn ich in formellen Institutionen Permakultur unterrichte, dann sind es die Leute gewöhnt, nach vorne zu schauen und einfach zuzuhören. Die Permakultur bringt da ganz viel Lebendigkeit und andere Lernformen ein. Ich finde es sehr gut, dass wir in diesen Dialog kommen. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass da etwas zurückfließt und hoffe, dass sich diese Lernorte auch aktiv in die Bewegung einbringen und die Vereinsarbeit unterstützen.

Persönlich bin ich im Aufbau einer Solawi engagiert und merke da, wie anders die Bedingungen sind, wenn man nicht – wie als Designerin – in der Rolle der Moderation dabei ist, sondern als Mitglied der Kerngruppe. Ich bin zuversichtlich und würde mich freuen, wenn ich die Hände wieder für mehr Menschen in die Erde bringen kann.

Magazin: Die Liste der kleinen und grossen Krisen weltweit ist lang und es ist manchmal schwierig, nicht daran zu verzweifeln. Wie hilft Euch Permakultur durch diese turbulenten Zeiten?

Beat: Ich bin Biologe. Vor allem im Bereich vom Naturschutz gibt es fast nur eine Richtung: Es wird immer schlechter. Aber durch die Permakultur habe ich mit so vielen positiven Nachrichten zu tun und lerne so viele Leute kennen, die auch in eine positive Richtung gehen. Das ist ein Privileg. Und es ist mir eine Freude, wenn ich sehen kann, wie sich Projekte entwickelt haben. Ich bin der Permakultur dankbar für diese positive Sichtweise. Natürlich bekomme ich das andere mit und nehme Anteil, aber ich bleibe auf das Positive konzentriert.

Valerie: Man muss eine persönliche Balance finden zwischen Information und Abgrenzung. Manchmal muss man mehr eintauchen in die Informationsflut, manchmal mehr zurückhalten. Ich bin froh, dass ich nicht Wissenschaftlerin bin, wo ich eher negative Nachrichten rausbringen muss. Mit der Permakultur habe ich eine positive Botschaft und die geht genauso nach innen wie nach außen. Wir wissen um die vielen Lösungen, ob das jetzt soziale Lösungen sind, wie man kommuniziert, wie man Entscheidungen trifft oder wie man Kompost macht. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass die Lösungen in die Welt kommen.

Wir haben die europäische Konferenz letztes Jahr zum ersten Mal online gemacht mit 1000 Teilnehmenden. Wir streben da eine noch höhere Teilnehmendenzahl an. Die Menschen müssen die Permakulturbeispiele mitbekommen. Es ist toll, wenn mir ein Teilnehmer nach der Veranstaltung sagt, wie inspirierend es war und dass er wegen der Veranstaltung angefangen hat, Bücher zu lesen und darüber mit seiner Frau zu reden. Wenn ich das Gefühl habe, dass sich etwas bewegt, das ist schön. Manchmal sind es Minischritte, manchmal sind es größere Schritte. Manchmal verändern Menschen nach einem Permakulturkurs ihre ganze Laufbahn und machen ganz was anderes. Es braucht größere und kleinere Schritte.

Sabrina: Der PDK hat mich aufgefordert zu fragen, welche Kompetenzen ich habe, die ich nachhaltig einbringen kann und welche ich mir noch aneignen möchte. Das ist jetzt zehn Jahre her und da ist sehr viel passiert. Die Permakultur hat mir einen Orientierungsrahmen gegeben, wie ich diese Selbstversorgung, die Harald beschrieben hat, leben kann. Selbstversorgung im permakulturellen Sinn heißt für mich nicht nur mich selbst zu versorgen, sondern möglichst auch Überfluss zu schaffen, den ich mit anderen teilen kann, möglichst ohne Abfall zu produzieren.

Einerseits war die Permakultur für mich ein guter Bezugsrahmen, andererseits war die Gemeinschaft ganz wichtig. All die Menschen, die ich kennenlernen durfte, all die Begegnungen mit den Inspirationen, Geschichten und Orten haben mich sehr gestärkt im Herzen, um auch negative Nachrichten und Entwicklungen verdauen zu können. Die Tiefenökologie ist mir dabei sehr wichtig, sie ist eng mit der Permakultur verwandt. Ich denke, dass wir das alle ein wenig kennen, dass man sich mal schlecht fühlt, wütend ist und dass man mal Phasen hat, wo man überfordert und traurig ist. Und dass es nicht einfach immer »happy-go-lucky«.Permakultur ist. Auch da sind wieder die Gemeinschaft wichtig und die Freundschaften, die entstanden sind im Permakulturumfeld.

Harald: Permakultur als Konzept und Lebensweise hat bei mir viele Dinge entwickelt. Eines davon hilft mir gerade besonders weiter, das ist Ressourcenbewusstsein. Also, dass ich mir der Ressourcen, die mich umgeben, bewusst bin und dass ich sie mir anschaue, auch wenn sie mir manchmal widerlich sind. Gerade die sind es oft, die später zu meinen Freunden werden. Eine Ressource, die gerade im Überfluss vorhanden ist, ist die Krise.

Es hat mich ein bisschen gekostet, die Krise als eine Ressource zu sehen. Aber Corona war für mich eine Wahrheitskönigin. Sie hat mich darauf gebracht, wie sehr Krisen uns voranbringen. Was bei Corona plötzlich alles möglich war! Auf einmal gab es viel Geld für alles Mögliche und andererseits wurden ganze Wirtschaftszweige heruntergefahren. Unvorstellbare Dinge waren plötzlich möglich. Und auch jetzt, wo wir als ganze Gesellschaft durch den Russland-Ukraine-Konflikt ein unglaubliches Energiebewusstsein entwickeln, öffnet uns die Krise die Augen. Da steht zum Beispiel in den Medien, es könnten Tausende Wohnungen durch die Wärme der Server von den Großbanken in Frankfurt beheizt werden.

Das ist so ähnlich wie das, was ich am Anfang meiner Permakulturausbildung in Prinzhöfte über Fehlerkultur gelernt hatte. Damals mochte ich meine eigenen Fehler überhaupt nicht, bis ich gelernt habe, dass meine Fehler meine besten Wegweiser sind. So ist das auch mit der Krise. Krisen sind die großen blauen Schilder auf der Autobahn, die sagen, da musst du abbiegen. Das macht mich sehr hoffnungsfroh. Wir treten jetzt in die Zeit der multiplen Krisen ein, ob wir wollen oder nicht. Wir müssen keine produzieren, wir müssen uns nirgendwo festkleben oder irgendwo Tomatenketchup draufgießen. Krisen wird es auch so reichlich geben. Ich hoffe nur, dass es viele kleine sind, dass es sich nicht aufstaut zu der Megakrise, sondern dass die Krisen für uns verdaubar bleiben, dass wir sie verwenden können. Oder dass wir Profis darin werden, Krisen zu lesen und aus diesen Krisen heraus zu gestalten.

Magazin: Wenn wir die Probleme unserer Zeit meistern wollen, müssen wir nicht an den Symptomen herumdoktern, sondern zuerst unsere Kultur selbst verändern, so schreibt Looby McNamara in ihrem Buch Cultural Emergence. Was bedeutet das für Euch?

Harald: Wir müssen nicht bei der Kultur anfangen, sondern ganz individuell bei uns selbst. Wie ist mein Bezug zu meiner lebendigen Umwelt? Wie ist mein Bezug zu meinen Mitmenschen? Habe ich eher eine innere Haltung des Gebens oder eine des Nehmens? Habe ich den Mut, Dinge anders zu machen, wenn ich weiß, dass sie anders gemacht werden müssen, auch wenn ich damit aus dem Mainstream heraustrete? Ernährung, Mobilität, Wohnen… Ich sitze hier mitten im Neubaugebiet, um mich herum gibt es krass andere Lebensentwürfe. Ich will nicht sagen, dass meiner das Nonplusultra ist, aber ich bin einigermaßen authentisch und habe die Kraft, Neues zu entwickeln. Ich bin meine wichtigste Ressource, in und an mir kann ich am meisten gestalten. Wenn ich das nicht hinkriege, brauche ich es auch nicht von anderen erwarten.

Beat: Der äußere und der innere Wandel gehören fest zusammen. Bei uns im Permakultur-Training sind Leute, die lernen möchten, wie man einen Garten gut gestaltet. Wenn sie sich aber nicht auf einen persönlichen Prozess einlassen, ist das Ergebnis relativ bescheiden. Ich muss alte Vorstellungen verlassen. Der Wandel der einzelnen Person und wie wir zusammen als Gruppe, als Gemeinschaft funktionieren sollte auch in der permakulturellen Ausbildung einen noch viel grösseren Stellenwert bekommen.

Sabrina: Ja, man muss aber schauen, wo der Goldene Schnitt zwischen Achtsamkeit und Selbstoptimierungswahn ist. In meiner Permakulturausbildung habe ich mich mit »Right Livelihood«
(A.d.R. »richtige Lebensführung«) beschäftigt. Das geht bis in die kleinsten Alltagsgewohnheiten. Permakultur hat meine Spiritualität verändert und die spirituelle Dimension hat meine Art verändert, permakulturell zu wirken. Was mache ich beispielsweise am Morgen, wenn ich aufwache? Nehme ich das Telefon, um Nachrichten zu lesen oder nehme ich mir die Zeit, um den Tag zu visualisieren?

Valerie: Ich bin froh, dass es Permakultur heißt. Denn es geht darum, eine Kultur zu leben. Die Zonierung ist überall, innen und außen, nicht nur im Garten. Genauso wie es die Beobachtung im Garten braucht, braucht es auch die Eigenbeobachtung, die Selbstreflexion. Und ohne soziale Tools funktioniert das beste Design nicht. Man kann nicht Hardcore-Selbstversorgung machen, ohne mit den Nachbarn zu kommunizieren.

Magazin: Ein Design ist nie fertig, nie perfekt. Was wünscht Ihr Euch für die nächsten Schritte, für den nächsten Atemzug der Welt? Was mögt Ihr den Leser*innen mitgeben?

Sabrina: Finde deine Leidenschaft und schau, wo du dich einbringen kannst. Ich wünsche uns allen mehr Momente, in denen wir erleben, dass wir im Grunde gut und allesamt miteinander verbunden sind.

Harald: Dass wir erkennen, was wichtig ist und es dann auch tun, ohne uns am Mainstream zu orientieren. Wir dürfen mutig und mit ganz viel Gestaltungsfreude voranschreiten.

Beat: Auch ich sehe die Permakultur als pionierhaft an. Einiges wird vom Mainstream übernommen, anderes nicht. Das kann man dann als Wegweiser sehen, ob wir die besseren Alternativen anbieten können.

Valerie: Einige Bereiche sind vielleicht noch in der Pionierphase, andere sind bereits etabliert. Ich finde es spannend, wie viele Parallelen wir vier in unserer Arbeit haben – von den sozialen Tools bis hin zum Abholen von Leuten. Schauen wir gut auf unsere Energie und dann mit Kraft weiterarbeiten! Es kommt aber nicht so sehr darauf an, zu verstehen, was es bedeutet, mit dem Land zu leben, sondern es auch zu fühlen. Und da sind wir wieder beim Kulturwandel. Für mich ist das einer der Hauptaufträge der Permakultur.

Magazin: Wir danken Euch, dass Ihr Eure Erfahrungen und Gedanken mit uns geteilt habt und wünschen weiterhin frohes Kulturwandeln!



Unsere Literaturtipps zum Thema Kulturwandel:
• Joanna Macy: Für das Leben! Ohne Warum: Ermutigung zu einer spirituell-ökologischen Revolution, 2017, Junfermann
• Looby McNamara: Cultural Emergence, 2021, permanent publications
• Rutger Bregman: Im Grunde gut, 2021, rororo
• Rob Hopkins: Stell Dir vor…mit Mut und Fantasie die Welt verändern, 2021, Löwenzahn
• Stefano Mancuso: Die Pflanzen und ihre Rechte, Eine Charta zur Erhaltung unserer Natur, 2021, Klett-Cotta
• Andreas Weber: Lebendigkeit – eine erotische Ökologie, 2014, Kösel-Verlag

 

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