Kleine Apfelsortengeschichte

Hans-Joachim Bannier wollte herausfinden, ob ein Obstbau ohne Fungizideinsatz möglich ist. Seit 1995 baut er seinen Sortengarten auf, beobachtet ihn Jahr für Jahr. Denn der Obstbau gehört gegenwärtig zu den landwirtschaftlichen Kulturen mit dem höchsten Einsatz dieser Mittel.


Hans-Joachim Bannier wird als einer der profundesten Obstsortenkenner Deutschlands bezeichnet. In einem Online-Vortrag vom März 2023 beschrieb er die wechselvolle Geschichte der Apfelzüchtung. An ihr lässt sich zeigen, dass die Veränderung einzelner Gene keine Problemlösung für die Landwirtschaft sein kann. Hier erscheint eine Zusammenfassung des Vortrags, der nach wie vor online angesehen werden kann (siehe unten).

Wenn Hans-Joachim Bannier über Apfelsorten redet, dann spricht er aus Erfahrung. In Bielefeld bewirtschaftet er einen kleinen Obstbetrieb mit drei Hektar Streuobstflächen und zwei Hektar Sortengarten. Hier gedeihen etwa 400 verschiedene Apfelsorten, darunter moderne Züchtungen neben Sorten, die schon im Mittelalter angebaut wurden. In Banniers Betrieb werden keine Fungizide, also Mittel gegen Pilzkrankheiten wie Schorf oder Mehltau, gespritzt. Das ist heutzutage eine Besonderheit. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist im Tafelobstanbau üblich, denn heutige Supermarktsorten sind hochempfindlich und kommen ohne diese Hilfsmaßnahme, also ohne Pestizide, nicht klar. So gehört der Obstbau gegenwärtig zu den landwirtschaftlichen Kulturen mit dem höchsten Einsatz dieser Mittel.

Doch Hans-Joachim Bannier wollte herausfinden, ob ein Obstbau ohne Fungizideinsatz möglich ist. Seit 1995 baut er seinen Sortengarten auf, beobachtet ihn Jahr für Jahr und stellt fest: Es gibt Sorten, oft moderne Züchtungen, die schrecklich aussehen, weil sie von Mehltau, Schorf und/oder Obstbaumkrebs befallen sind. Aber es gibt auch Sorten, die keinerlei Krankheiten haben. Es finden sich vor allem alte Obstsorten, die gegen Schorf, Krebs und Mehltau widerstandsfähig sind, so etwa die älteste dokumentierte deutsche Apfelsorte, der schon im 13. Jahrhundert angebaute ‘Edelborsdorfer‘. Weitere ähnlich resistente Sorten sind der ‘Seestermüher Zitronenapfel’, der ‘Finkenwerder Herbstprinz’, ‘Martens Sämling’ oder ‘Luxemburger Triumph’. Die Anfälligkeit vieler moderner Sorten erklärt sich, wenn man einen Blick auf die Geschichte der Apfelzüchtung wirft.

Bis ins 19. Jahrhundert: überwiegend robust

Obstbau und -züchtung fand in Deutschland vor 1900 ausschließlich auf Bauernhöfen im Nebenerwerb statt. Pflanzenschutzmaßnahmen waren damals nicht üblich. Die fungizide, pilztötende Wirkung der klassischen Spritzung mit Kupfer- oder Schwefelpräparaten wurde erst in den 1880er-Jahren entdeckt. Neue Sorten entstanden vor 1850 meist als Zufallssämlinge. In den großflächigen Anbau schafften es also nur Sorten, die robust genug waren, allein mit Krankheitserregern klarzukommen. Krankheitsanfällige Sorten wie beispielsweise ‘Cox Orange’ wurden allenfalls als Liebhabersorten mit hoher Pflege angebaut.

Mitte des 19. Jahrhunderts begann in Europa die gezielte Kreuzungszüchtung beim Apfel. Ein zunehmender Bedarf an Obst in den wachsenden Städten und die Erschließung weiterer Vermarktungswege veränderte den Anspruch an die Apfelsorten – der Trend ging weg von Lageräpfeln für den regionalen Verkauf oder die Selbstversorgung hin zu aromatischen Tafeläpfeln für die überregionale Vermarktung.

Gezielt wurden hoch aromatische, aber krankheitsanfällige Liebhabersorten mit robusten Massenträgern gekreuzt. Hierbei entstanden mit etwas Glück Sorten, die aromatische Tafeläpfel in Masse lieferten. Auch zu dieser Zeit konnten sich nur Sorten durchsetzen, die mit wenigen Pflanzenschutzmitteln angebaut werden konnten. Beispiele sind die Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Sorten ‘Holsteiner Cox’, ‘Alkmene’ und ‘Discovery’.

20. Jahrhundert: Züchtung unter Pflanzenschutzmitteln

Die Wende zum modernen, pestizidbedürftigen Obstbau erfolgte in Amerika seit den 1930er-Jahren, in Deutschland nur wenig zeitversetzt. Dies fiel zusammen mit dem wachsenden Obstbau-Interesse von Chemieunternehmen. Der heutige Chemie-Konzern Bayer unterhielt seit den 1940er-Jahren ein eigenes Versuchsgut für den Obstbau. Seit den 1950er-Jahren kam es zum großflächigen Anbau von Apfelsorten aus Amerika wie ‘Golden Delicious’, ‘Jonathan’ und ‘McIntosh’ und der englischen Sorte ‘Cox Orange’.

Alle genannten sind stark anfällig für Krankheiten und nur mit Pestizideinsatz gewinnbringend anzubauen. Für heutige Obstbauern erscheint die Krankheitsanfälligkeit von Apfelsorten als normal. Diese ist jedoch Hans-Joachim Bannier zufolge das Ergebnis einer historischen Entwicklung, die nur aufgrund der Verwendung chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel möglich wurde. Allein mit der Spritzung von Kupfer- oder Schwefelpräparaten wäre diese Entwicklung nicht denkbar gewesen.

Dramatisch ist die weitere Folge dieser Entwicklung: Weltweit wurde für den Massenmarkt seit Mitte des 20. Jahrhunderts mit nur noch fünf hochanfälligen Elternsorten gezüchtet, nämlich ‘Golden Delicious’, ‘Cox Orange’, ‘Jonathan’ und in Amerika ‘McIntosh’ und ‘Red Delicious’. Das Zuchtziel Vitalität stand nicht mehr im Fokus, und es entstand eine vorher nie dagewesene genetische Verarmung.

In der Folge haben moderne Sorten eine höhere Anfälligkeit als traditionelle Sorten für Schorf, Mehltau, Elsinoe-Blattflecken und für Viren wie zum Beispiel Apfeltriebsucht.

Jüngste Züchtung: Einzelne Gene kommen dazu

Als Reaktion auf diese große Krankheitsanfälligkeit wurde in den letzten 40 Jahren in der klassischen Züchtung jedoch nicht etwa auf die Kreuzung mit robusten traditionellen Sorten gesetzt. Stattdessen wurde der Japanische Wildapfel Malus floribunda eingekreuzt. Der Laie ist verwundert und fragt sich warum. Die Erklärung liegt in den Genen: Der Japanische Wildapfel ist resistent gegen Schorf, eine Eigenschaft, die sich bei ihm auf einem Gen verorten lässt. Diese sogenannte monogene Schorfresistenz lässt sich »berechenbarer« in Sorten einkreuzen und leichter mit Genanalysen nachweisen als die polygene Resistenz alter Sorten, wo die Schorfresistenz auf verschiedenen Genen verteilt liegt.

Das klingt auf den ersten Blick gut, birgt aber ein Problem. Dieser schnelle Zuchterfolg wurde weltweit genutzt, der Japanische Wildapfel weit verbreitet in der Züchtung verwendet. Und es wurde weiter mit den oben genannten anfälligen Sorten oder deren Nachkommen gezüchtet, sodass sich beispielsweise in der »Ahnenlinie« der modernen Sorte ‘Topaz’ sowohl zweimal ‘Golden Delicious’ als auch ‘Jonathan’ und ‘McIntosh’ wiederfinden. Diese weitere genetische Verengung führte in der Folge dazu, dass die Schorfresistenz bei zahlreichen Apfelneuzüchtungen inzwischen gebrochen ist: Krankheitserreger passen sich schnell an die Resistenz an und schädigen die Bäume dann doch. Die Strategie der monoresistenten Schorfresistenz kann laut Hans-Joachim Bannier als gescheitert bezeichnet werden.

Obstzüchtung der Zukunft

Und damit sind wir in der gegenwärtigen Diskussion angekommen: Wie lassen sich die Probleme im Obstbau lösen? Glaubt man der Gentech-Lobby, so sind Resistenzdurchbrüche ganz normal; man müsse nur schneller sein mit der Sortenentwicklung, dann könne man den Pilzkrankheiten mittels neuerer gentechnischer Verfahren wie CRISPR/Cas »vorauseilen«.

Hans-Joachim Bannier erinnert hingegen an die Sortengeschichte im Obstbau und an alte Apfelsorten, bei denen die (polygenen!) Resistenzen seit Jahrhunderten ungebrochen sind. Beispielsweise beim schon erwähnten ‘Edelborsdorfer’ hält die Schorftoleranz seit rund 800 Jahren, bei der ‘Roten Sternrenette’ seit 250 Jahren oder beim ebenfalls schon erwähnten ‘Finkenwerder Prinzenapfel’ seit 160 Jahren.

Resistenzdurchbrüche müssen also nicht sein – eine Gentechnik, die einzelne Gene »verpflanzt«, ist unnötig. Wir haben uns seit den 1940er-Jahren den Luxus geleistet, nur noch mit krankheitsanfälligen Sorten zu züchten – eine zukunftstaugliche Apfelzüchtung sieht anders aus: Eine nachhaltige ökologische Obstzüchtung braucht laut Hans-Joachim Bannier einen Systemwechsel. Vitale polygen resistente traditionelle Sorten sollten (wieder) für die Züchtung genutzt werden. Auch wenn die einzelnen Schritte der Kreuzungszüchtung länger dauern als schnelle gentechnische Verfahren, so führten sie doch zu nachhaltigeren Ergebnissen.

Zum Glück sind Obstbäume oft langlebig. Und wir können durch die Erhaltungsarbeit von Bannier und zahlreichen anderen Experten, die sich im Pomologen-Verein e.V. zusammengeschlossen haben, heute noch auf eine große Zahl traditioneller Sorten zurückgreifen. Hans-Joachim Bannier widmet sich seit einigen Jahren auch der ökologischen Apfelsortenzüchtung und engagiert sich dafür im Verein apfel:gut e.V.


Der Vortrag »Warum einzelne Gene die Probleme der Landwirtschaft nicht lösen können und warum wir stattdessen Vielfalt brauchen – Dargestellt am Beispiel des Apfels, seiner Anbauprobleme und seiner Züchtungsgeschichte« von Hans-Joachim Bannier kann online bei Youtube angesehen werden (1 Stunde 4 Minuten).

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