Experiment 100 % Selbstversorgung

Einen Monat lang vollständig von der eigenen Ernte leben.


Gartengemüse statt Supermarktsnack – während seines Selbstversorgermonats stieg Lucas Meyer komplett auf eigenproduzierte Nahrung um (Foto: Jen Ries).

von Lucas Meyer

Schon als kleiner Junge wollte ich Landwirt werden. Die Natur hat mich immer fasziniert. Mein damaliges Bild von der Landwirtschaft hatte jedoch wenig mit Natur zu tun: mit dem Traktor hin und her fahren, Kühe melken und Monokulturen aussäen. Daher habe ich mich von meinem Traum wieder abgewandt. Erst als ich vor etwa vier Jahren die Permakultur entdeckt habe, wusste ich: Das ist es. Ich habe damals alles andere liegen lassen und mich der Permakultur verschrieben. 

Seitdem wurde mein Garten immer größer. Jedes Jahr kamen mehr Kulturen dazu und jedes Jahr konnte ich dazulernen. Zuerst arbeitete ich ein Jahr lang auf einem Permakultur-Hof in der Nähe von Marrakesch in Marokko. Danach startete ich zwei Gärten im Zürcher Oberland. Jedes Jahr wurde die Ernte größer und ich konnte mich vor allem mit Gemüse gut versorgen. Ich wollte dann einen Schritt weiter gehen und plante, mich im September 2021 einen ganzen Monat lang nur von dem zu ernähren, was ich selbst anbauen oder in der Natur finden würde. Kein Supermarkt. Kein Restaurant. Keine Bar. Ich wollte herausfinden, wie es ist, bei der Ernährung vollkommen unabhängig zu sein. Ich wollte mich gesund und ausgewogen ernähren, ohne dass es mir an irgendetwas fehlen sollte.

Dieses Experiment sollte mir auch helfen, mehr über verschiedene Anbauformen und Kulturen zu lernen, meinen Garten gut zu planen und die ganze Ernte auch zu verarbeiten. Auch über Wildpflanzen sollte ich in diesem Monat einiges dazulernen sowie auch über Ernährung und meinen eigenen Körper.

Zur Verfügung standen mir zwei Gärten, die ich mit verschiedenen Menschen teile. Ich hatte für das Experiment etwa 130 Quadratmeter für einjährige Pflanzen zur Verfügung. Dazu kamen mehrjährige Pflanzen wie Obstbäume und Beerensträucher. Als ich im Februar 2021 mit der Planung begann, hatte ich keine Ahnung, ob mir diese Fläche reichen würde. Auch wie ich meinen Anbau zeitlich planen muss, damit ich im September ernten kann, war für mich schwierig vorauszusagen. Gegärtnert habe ich ohne Maschinen, alles von Hand und im Sinne der Permakultur. Schlussendlich habe ich, alles zusammengezählt, etwa um die 50 unterschiedliche Lebensmittel produziert: unzählige Gemüsesorten, Gerste und Dinkel, Polentamais, Kartoffeln, Samen und Kerne, Obst und Beeren sowie Eier von unseren Hühnern. Ich konnte aus einer unglaublichen Vielfalt schöpfen, die mir die Natur zur Verfügung stellt. Ich musste jedoch auch auf einiges verzichten, was ich sonst so in meinem Alltag konsumiere. Ich konnte zum Beispiel kein Öl herstellen, welches ich zum Kochen oder Braten benutzen konnte. Da unser Körper jedoch auch Fette braucht, holte ich mir diese aus Sonnenblumen- und Kürbiskernen, Haselnüssen oder anderen Kernen, die ich sonst noch fand. Auch Zucker konnte ich keinen herstellen. Zum Süssen nutzte ich meine Stevia-Pflanze. Kaffee produzierte ich aus Lupinen. Diese kann man nach der Ernte in der Pfanne rösten, dann mit dem Mörser zermahlen und danach ganz einfach wie Kaffee zubereiten. Die Lupine ist zudem eine tief wurzelnde und Stickstoff bindende Pflanze und daher gut für den Boden. Salz habe ich mir in einer Schweizer Salzsaline geholt, da ich in der Schweiz keinen Ort fand, an dem man Salz hätte abbauen können.

Diese Vielfalt an Lebensmitteln war jedoch nicht selbstverständlich. Denn es war - rein wettertechnisch - nicht das einfachste Jahr für dieses Experiment. Die späten Fröste im Frühling haben die meisten Blüten unserer Obstbäume erfrieren lassen. Und im August hat ein Hagelsturm den Gemüsegarten platt gemacht. einige Pflanzen wurden komplett zerstört. Ich musste einen größeren Ernteausfall verkraften. Dazu auch noch der viele Regen diesen Frühling und Sommer. Die Kartoffeln blieben um einiges kleiner als in den Vorjahren. Aber auch dies lehrte mich, kreativ zu bleiben und mich sowie den Garten auf Unvorhergesehenes anzupassen und flexibel zu bleiben. Denn wie jedes Jahr gab es auch Kulturen, die wunderbar gewachsen sind, beispielsweise Karotten, Erbsen, Krautstiel, Kohl und Johannisbeeren. 

In den ersten Tagen meines Selbstversorgermonats war die Umstellung auf die neue Ernährung schwierig. Weniger Mehl, viele Kartoffeln, kein Bratöl, kein Zucker, kein Kaffee, das waren die größten Änderungen. Wobei der schwierigste Teil sicherlich war, dass ich kein Bratöl zur Verfügung hatte. Ich musste lernen, wie ich ohne Öl kochen kann und mir dazu eine neue Pfanne mit besserer Beschichtung kaufen, damit beim Braten nicht gleich alles anbrennt. Auch fehlte mir das Krosse oder Knackige beim Essen ohne Öl. Deshalb ass ich zu jeder Mahlzeit noch eine frische Karotte dazu. Gegen Ende des Monats habe ich aber eigentlich fast nichts vermisst. Was mir jedoch schwerfiel, war der soziale Teil des Essens. Immer wenn ich zum Essen eingeladen oder mit Freunden unterwegs war, musste ich als Einziger aus meiner Tupperware essen, meist sogar noch kalt. Mir ist auch aufgefallen, dass ich seit Beginn des Monats fast keine Heißhungerattacken mehr hatte. Als Snack zwischendurch diente mir eine Karotte oder ein Stück Obst. Ich hatte meine Lust nach Essen viel besser unter Kontrolle als sonst. Ich denke, das ist der Grund, warum ich diesen Monat um die vier Kilogramm abgenommen habe. Viele Produkte aus dem eigenen Garten (und vor allem die Wildprodukte) haben viel mehr Nährstoffe als konventionelle Produkte. Das bedeutet viel mehr Energie aus weniger Essen.

In Zukunft strebe ich eine Selbstversorgung von Gemüse, Beeren und Obst an. Eine 100-prozentige Selbstversorgung wäre meines Erachtens machbar, jedoch mit grossem Aufwand und nur mit der richtigen Infrastruktur und mit einem grösseren Stück Land. Zudem würde ich meinen Garten um Tiere ergänzen, um Ernteausfälle zu überbrücken. Zurzeit lebe ich jedoch mit meiner Familie in einer 2-Zimmer-Wohnung, wo mir der nötige Platz für die Lagerung und die Verarbeitung der Lebensmittel fehlt. Daher werde ich in Zukunft meine Grundnahrungsmittel wieder dazukaufen. Auch denke ich, dass der Aufwand für die manuelle Herstellung von Öl und Getreide schlichtweg zu groß ist. Hier ist der maschinelle Anbau durchaus sinnvoll.

Mit diesem Experiment konnte ich ein weiteres Ziel erreichen: Die Philosophie der Permakultur den Menschen ein Stück näherbringen. Unter anderem kamen verschiedene Zeitungen und Newsportale bei mir im Garten vorbei, um darüber zu berichten. Ich wollte aufzeigen, wie viel Spass es macht, seine Lebensmittel im eigenen Garten anzubauen, zu verarbeiten und zu konsumieren. Wenn man so viel Energie und Liebe in ein Produkt steckt, nimmt man das auch wieder über das Essen auf. Man schätzt viel mehr, was man auf dem Teller hat, und es schmeckt auch um einiges besser. Es landet selten bis gar nie etwas im Abfall. Denn jedes Gemüse und jedes Stück Obst ist kostbar. Auch der Garten und die Arbeit mit der Natur geben einem sehr viel Energie zurück und sind gut fürs Wohlbefinden.



Lucas Meyer möchte Menschen inspirieren, den Weg in die Natur zu finden und Lebensmittel selbst anzubauen. Dafür hat er 2021 die Permakultur-Plattform PermaTerra gegründet, auf der Kurse, Beratungen, Planungen und Umsetzungen von Permakulturgärten angeboten werden. Kontakt: www.permaterra.ch, hallo@permaterra.ch

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