Die (Un)Nachhaltigkeit des Reisens

Wie man auch im Urlaub Permakultur-Prinzipien beherzigen kann


Reisen ist unnachhaltig.

Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich muss, nach langer Beobachtung, tatsächlich feststellen: Wenn ich auf Reisen bin, lebe ich immer weniger nachhaltig, als zu Hause.

Ich muss ab und zu konventionelle Lebensmittel einkaufen (für die ja meistens Boden zerstört und viel Erdöl investiert wird). Ich finde selten unverpackte Lebensmittel. In Aufstrichen und ähnlichen verarbeiteten Produkten sind meistens Zutaten von anderen Kontinenten. Wenn ich nicht mit dem Holzkocher kochen kann, muss mal eine Gaskartusche aus Alu her. Ich benutze Züge und Busse, die zwar umweltfreundlicher sind, als das Auto, aber auch große Mengen Energie brauchen. Meine Klamotten gehen schneller kaputt, als im ‘behüteten’ Zuhause. Und ich kann Dinge, die ich sonst nachnutzen würde, wie zum Beispiel Schraubgläser, oft nicht mitnehmen, weil der Platz im Gepäck fehlt. Wenn ich sie dann wegwerfe, muss ich feststellen, dass es an vielen Stellen keine richtige Mülltrennung gibt.

Reisen ist wertvoll.

Trotzdem kann das Reisen ja auch verschiedene gute Auswirkungen haben:Wenn wir uns in anderen, als den gewohnten Umgebungen aufhalten und anderen Kulturen begegnen, lernen wir mehr über die Welt und können uns selbst besser reflektieren. Wenn wir gut beobachten, können wir überall kleine und große Inspirationen für nachhaltigeres Leben finden. Und schließlich kann unser Geist mal loslassen und sich erholen.

Ich finde es also lohnenswert, mal genau darüber nachzudenken, wie und warum wir reisen und wie wir das nachhaltiger gestalten können.

Auch beim Reisen kann man Permakultur-Prinzipien anwenden.

Dazu habe ich mir mal die ersten Permakultur-Prinzipien von Mollison rangezogen. Die werden nämlich, wie ich finde, viel zu selten genutzt, zumal sie selten übersetzt werden und auch ziemlich sperrig sind. Ich nutze den Artikel also gleich mal, um Übersetzungen vorzuschlagen und sie ein bisschen verständlich zu machen. Um Beispiele zu geben, schreibe ich die Sachen auf, die mir an der Gestaltung unseres Urlaubs in diesem Jahr ganz gut vorkamen.

  1. Da gibt es zum einen das Prinzip “relative location”. Wörtlich (aber sperrig) übersetzt heißt das Beziehungsbildende Platzierung, was ich – für die Konzeptköpfe unter uns – so interpretieren würde:

    Damit Systemelemente miteinander in effektive Kooperation treten oder einander Rückkopplungen geben können, müssen sie füreinander erreichbar sein, das heißt es muss eine räumliche Nähe oder starke kommunikative Verbindung geben.

    Im Urlaub heißt das für mich: Je weiter ich wegfahre, umso stärker bin ich aus allem raus. Das kann sehr wertvoll sein: Im letzten Jahr hat uns eine Schiffsreise nach Island sehr gutgetan, um einen Trauerfall zu verarbeiten. Je näher ich aber an Zuhause bleibe, umso mehr Dinge kann ich tun und erleben, die dann auch meinen Alltag zu Hause unterstützen. Wir haben uns dieses Jahr aufs Fahrrad geschwungen und die Umgebung erkundet. So konnten wir gleich noch unsere Hofsuche im Umland verstärken, meine Eltern besuchen, zwischendurch mal kurz nach Hause, um den Garten zu versorgen, bei einer Freundin auf dem Bäuerinnen-Hof aushelfen, dort den Überfluss der leckeren süßen Früchte vom Wegesrand haltbarmachen und viel davon nach Hause transportieren. Und das alles fast ohne fossile Energie.
     
  2. Darin steckt auch schon die Multifunktionalität (“every element serves multiple functions”):

    Ist ein Element auf vielfältige Weisen eingebunden und hat mehrere Zwecke für das System, so wird Energie gespart, da nicht extra für jede Funktion ein einzelnes Element betrieben werden muss.

    Ein Urlaubs-Beispiel dafür ist unser Aufenthalt auf dem befreundeten Bäuerinnen-Hof: Hier haben wir uns nicht nur erholt und Landluft geschnuppert, sondern auch viel über das Hofleben gelernt, bei jedem Spaziergang Früchte gesammelt, die wir für den Winter haltbar machen konnten, eine Freundschaft gepflegt, Campingplatz-Gebühren gespart und so weiter.
     
  3. Das Gegenstück dazu ist die Redundanz (“every function is supported by multiple elements”):

    Werden wichtige Funktionsaspekte durch verschiedene Akteure und Funktionssyteme abgedeckt, können sie einerseits auch bei Ausfall von einem weiterhin funktionieren und werden außerdem im Interesse der verschiedenen Akteure mitgeprägt und damit bedürfnisgerechter.

    Im Urlaub kann man das zum Beispiel hinsichtlich der Verpflegung beherzigen. Um uns möglichst umweltfreundlich zu ernähren, haben wir so viel unverpacktes regionales Bio-Essen mitgenommen, wie wir in die Fahrradtaschen bekommen haben. Dazu konnten wir Früchte und Wildkräuter aus der Natur ergänzen. Daneben haben uns natürlich wie immer die Mülltonnen der Supermärkte mit noch gut essbarem Allerlei beschenkt. So waren wir seltener darauf angewiesen, mit unserem Geld zweifelhafte Produktionsbedingungen zu unterstützen.
     
  4. Apropos Produktion: Mollison empfahl die Verwendung selbst-erneuernder Prozesse und Ressourcen (“use biological ressources”), denn:

    Die wiederkehrenden Outputs der lebendigen Systemteilnehmer, sowie ihre regelmäßig aufkommenden Handlungs-Motivationen sind nachhaltigere Triebkräfte, als begrenzte Ressourcen, die verbraucht werden und dann nicht mehr zur Verfügung stehen.

    Hier ist ein Urlaubs-Beispiel offensichtlich: Statt mit fossilen Brennstoffen weit weg zu fahren und dann dort künstlich ‘fun activities’ zu unternehmen, haben wir einfach unseren eigenen Bewegungsdrang genutzt, um herumzukommen und wir sind mit Muskelkraft zu den schönsten Ausblicken gefahren. Schon durch die körperliche Bewegung entstehen Glückshormone. Unsere Bewegung wird, so effizient wie es keine Maschine zu leisten vermag, durch organische Brennstoffe angetrieben, nämlich durch Essen. Da wir unterwegs immer frische Pflaumen, Kirschen und anderes gefunden haben, war ein Motivations-Kreislauf in Gang gesetzt. Und dafür brauchten wir nicht mal Flaschengetränke, abgepackte Süßigkeiten oder ähnliche Glücklichmach-Konsumprodukte.
     
  5. In diesem Prinzip steckt auch eins, das später Holmgren extra hervorgehoben hat – und das ich hier auch betrachten möchte, weil es mir für nachhaltiges Reisen sehr wichtig vorkommt: Erzeuge keinen Abfall (“produce no waste”).

    In einem idealen System kann jeder Output eines Elements als Input für einen anderen genutzt werden. Jeder ungenutzte Output hingegen wird zu einem Schadstoff für das System.

    Auf Reisen erzeugt man ja schneller mal Müll als zu Hause, weil man öfter den Ort wechselt, keinen Kühlschrank hat, usw. Um das möglichst zu reduzieren nehmen wir zum Beispiel stabile Dosen und Beutel von zu Hause mit, in denen wir Essen verpacken und so Einwegverpackungen sparen können. Wir pinkeln draußen und waschen uns in Seen, um Wasser zu sparen. Wenn wir Wanderführer oder Radkarten brauchen, versuchen wir, sie auszuleihen oder gebraucht zu kaufen, interessante Prospekte lesen wir vor Ort und legen sie wieder zurück, ausgelesene Bücher verschenken wir oder tauschen sie mit anderen. Funktionsklamotten aus Plastik ziehe ich nur im Notfall an, zum Beispiel wenn es in Kübeln regnet und ich keine Aussicht auf ausreichende Trockenzeit habe, denn dabei werden jedes Mal hunderttausende Partikel Mikroplastik ausgespült. Als Ausgleich sammle ich Müll auf, den ich in der Landschaft finde. Wofür ich mir bei den letzten Reisen keine Zeit mehr genommen habe, obwohl es viel Spaß macht, sind selbstgebastelte Postkarten aus Verpackungen und Zeitungsschnippseln, mit denen man ganz individuelle Urlaubsgrüße verschicken kann.
     
  6. Vom Upcycling ist der Weg nicht weit zur energieeffizienten Gestaltung (“energy-efficient planning“):

    Funktionale Strukturen sollten vorhandene Energien nutzen, sodass sie für ihre Funktionsprozesse, keine ständigen (sondern möglichst geringe) Energie-Inputs benötigen. Ineffiziente Strukturen sind anstrengend oder zerfallen; werden sie trotzdem langfristig aufrecht erhalten, zerstören sie zunehmend Ressourcen.

    In unserer Urlaubswelt hatten wir zum Beispiel die wunderschöne Gelegenheit, Unterhaltung zu genießen, die sowieso da ist. Statt ins Kino, Freibad oder Clubs zu gehen – die alle viel Energie verschlingen – konnten wir einfach wunderschöne Ausblicke bestaunen, die wir selbst erwandert hatten, in Teichen und Bergseen schwimmen, den Sternenhimmel genießen, unter dem wir Nacht für Nacht geschlafen haben, Sonnenunter- und -aufgänge (die uns morgens geweckt haben) zelebrieren, mit Hunden um die Wette rennen, den Grillen lauschen und uns über die saukomischen Verhaltensweisen von Hühner und Schafe amüsieren.
     
  7. Je effizienter etwas ist, umso kleiner kann es sein. Das nächste Prinzip heißt deswegen sehr sperrig kleinteilige Potenz (“small-scale intensive”):

    Systeme sind am nachhaltigsten, wenn sie einerseits auch mit begrenzten Ressourcen und niedrigerKomplexität funktionieren können und andererseits die Subsysteme in sich selbst schon möglichst funktional sind.

    Ein Beispiel aus der Welt des Geldes: Unser Urlaub hat für zweieinhalb Wochen und zweieinhalb Personen (ein Baby im Bauch erzeugt ja auch besondere Bedürfnisse) ungefähr 350€ gekostet. Auch das muss man erstmal haben, aber ich habe sogar in meinem winzigen Teilzeit-Angestelltenverhältnis in derselben Zeit ein bisschen mehr Gehalt “verdient”. Insofern ist eine Reise wie diese auch möglich, ohne eine Kette von wirtschaftlichen Fragezeichen und Sachzwängen hinter sich her zu ziehen. Stattdessen haben wir sogar noch knapp 90 Gläser Ernte eingemacht und damit für die Zeit nach dem Urlaub vorgesorgt.
     
  8. Beim Prinzip Beschleunigung von Sukzession (“accelerate succession”) bleibe ich gleich beim Geld.

    Sukzession bedeutet die Entwicklung von Systemen beziehungsweise die natürliche Aneignung einer Umgebung in vorhersagbaren Mustern. Die Ausbildung bestimmter wünschenswerter Fähigkeiten und Eigenschaften des Systems kann unterstützt und teilweise beschleunigt werden.

    Im Urlaub kann ich versuchen, Geld an unterstützenswerten Orten auszugeben, also zum Beispiel in kleinen Bioläden, die lokale Lebensmittel verkaufen (und zwar richtige – nicht solche, die mit Cashewnüssen und Palmfett vor Ort hergestellt wurden ;-)) und damit diese Form des Wirtschaftens unterstützen. Eine andere Form, die ich gerade versuche, indem ich diesen Artikel schreibe, ist, von den Möglichkeiten des Guten Lebens im nachhaltigen Reisen zu erzählen, sodass andere vielleicht ein bisschen Inspiration daraus mitnehmen – oder mir neue Tipps geben können.
     
  9. Das ist gleichzeitig auch schon ein Beispiel für das Prinzip der Nutzung von Übergangs- und Randeffekten (“edge effect”):

    In den Übergangszonen zwischen Systemen, findet der meiste Austausch und somit die höchsteProduktivität statt. In räumlichen wie zeitlichen Übergangsphasen kommen vielfältigste (Lebens-)Bedingungen (und -Einstellungen) zusammen, wodurch vielfältige Möglichkeiten entstehen.

    Ein weiteres Beispiel: Kennt ihr das, wenn man auf Reisen etwas erlebt, das man sich gerne in den Alltag mitnehmen möchte? Die gemeinsamen Spaziergänge nach dem Abendessen, die leckeren Wildkräuter, die man neu kennengelernt hat und die doch auch im eigenen Hinterhof wachsen oder das befriedigende Gefühl, ein Kompostklo zu benutzen und zu wissen, dass die eigenen wertvollen Ausscheidungen zu Kompost werden, statt zu Klärschlamm. Ich habe mir das Ritual angewöhnt, solche Dinge während des Urlaubs aufzuschreiben, um mich zu Hause wieder daran zu erinnern. Am besten funktioniert das auf der Heimreise, an diesem Übergangspunkt zwischen der großen Urlaubswelt und dem kleinen Zuhause, wenn ich dieses besondere Gefühl von leichter Wehmut empfinde, aber auch Freude auf die Möglichkeiten, die ich zu Hause wieder haben werde. Zu Hause angekommen, warten dann oft schon wieder so viele Dinge auf uns, dass unsere neuen Vorsätze uns schnell wieder hinten runter fallen. Und dafür finde ich es hilfreich, die Randzone zu verstärken, indem ich Übergangstage einzubauen, an denen ich mich nicht gleich wieder in den Alltag stürze, sondern erstmal ausprobiere, die neuen Ideen zu integrieren. Dabei kann ich sie auch aus einer anderen Perspektive bewerten, als während der Reise, wo das Leben doch ganz anders aussah. So ein Übergang ist auch vor einer Reise sehr empfehlenswert, um aus der Arbeit erstmal runterzukommen und den Stress loszulassen, bevor man sich in diese ganz andere Welt namens Reise begibt.
     
  10. Vielfalt (“diversity”):

    Die Bestandteile eines Systems sollten vielfältige Ansprüche und Fähigkeiten mitbringen und verschiedenste Outputs erzeugen. Dadurch wird einerseits zu starke Konkurrenz um die gleichen Ressourcen vermieden undandererseits gegenseitige Ergänzung möglich. Aber Achtung: Nicht die Vielfalt der Elemente, sondern die Vielfalt der entstehenden Beziehungen untereinander erhöht die Wahrscheinlichkeit der Bedürfnisbefriedigung und Anregung der Entwicklung für alle.

    Für die Gestaltung von (Urlaubs-)Reisen würde ich das folgendermaßen interpretieren: Die beschriebenen Ideen müssen keineswegs für alle sinnvoll sein: Jeder macht einen anderen Urlaub und setzt die Prinzipien auf andere Weise um. Dadurch stehen wir uns nicht auf dem gleichen Zeltplatz auf den Füßen, pflücken nicht alle am gleichen Johannisbeerstrauch und haben danach alle verschiedene Inspirationen, die wir mit den anderen teilen können.

 


Bereits erschienen im Permakultur Magazin, Ausgabe 2019 für Vereinsmitglieder (der Artikel selbst wurde im Sommer 2018 geschrieben). Hier kannst du Mitglied werden und dem Permakultur Institut e.V. beitreten.

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