Den kalten Wind entschärfen

Wie gehen wir im Verein Permakultur Schweiz mit Rassismus um?


von Stephanie Rauer

Im September 2020 war im Rahmen eines Permakultur-Festivals in der Nähe von Bern die Schweizer Akkreditierung der neuen Permakultur-Designerinnen und -Designer geplant. Zu diesem zweitägigen Event waren auch Vertreter des Vereins Familienlandsitze Schweiz eingeladen. Mitglieder des Permakultur-Vereins wiesen ihren Vorstand daher im Vorfeld besorgt auf die Nähe der Familienlandsitzidee zu den Anastasia-Büchern von Wladimir Megre und die darin enthaltenen antisemitischen Passagen hin. Bei der Zusage zur Festivalteilnahme war den Permakulturaktiven diese Nähe nicht bewusst gewesen und es kam zu einer intensiven Diskussion innerhalb des Vereins: Teilnehmen oder absagen? Integrieren statt abgrenzen? Was ist die permakulturell angemessene Strategie im Umgang mit diskriminierenden Ideologien?

Die Permakultur schätzt Vielfalt und Randzonen. Dort, wo so viele verschiedene und interessante Dinge passieren. Wir fördern Pflanzengilden, weil wir verstehen, wie wichtig es ist, sich gegenseitig zu unterstützen. Bedeutet das aber, dass wir versuchen müssen, alle Sichtweisen zu akzeptieren und zu integrieren? Diese Frage beschäftigte den Vorstand bei der Entscheidungsfindung zur Festivalteilnahme. Im Leitbild auf seiner Internetseite steht ganz deutlich: „Der Permakultur Verein Schweiz distanziert sich ausdrücklich von jeglichen fremdenfeindlichen, rassistischen, sexistischen/homophoben und antisemitischen oder anderweitig diskriminierenden Äusserungen und Verhaltensweisen gegenüber Einzelpersonen und Gruppen.“ Denn diese entsprechen nicht dem ethischen Grundsatz der Permakultur: People Care Trage Sorge gegenüber den Menschen. Was aber, wenn man auf eine Veranstaltung eingeladen ist und sich dort neben Vertretern einer Bewegung wiederfindet, die möglicherweise rassistisches Gedankengut verbreitet und einige von ihnen auch gleichzeitig Mitglieder des Permakultur-Vereins sind?

Beobachten und Interagieren

Auf den ersten Blick stimmt das Streben der Familienlandsitzbewegung nach einer naturverbundenen und enkeltauglichen Lebensweise mit den permakulturellen Prinzipien überein. Wer aber die Anastasia-Bücher genauer studiert, findet in den Büchern 6 bis 8 Abschnitte, die antisemitische Aspekte aufweisen. Weltweit gibt es Beispiele, wo sich rassistisches und ökologisches Gedankengut vermischen. In Deutschland wurde bereits mehrfach über die Verbindungen von einigen Anastasia-Anhängern zu rechtsradikalen Gruppen berichtet. Auch das Permakultur Institut hat zu diesem Thema eine sehr lesenswerte Stellungnahme verfasst. Anders dazu ist man in der Schweiz weniger sensibilisiert vielleicht auch weniger achtsam –, was diskriminierende Ideologien anbelangt. Die Anastasia-Bewegung ist hier noch in den Anfängen, einen realen Familienlandsitz gibt es bislang nicht. Der Verein Familienlandsitze wurde 2015 gegründet. „Die Familienlandsitzidee ist aus unserer Sicht ein möglicher Ansatz unter vielen. Es gibt unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Gefühlen, Gedanken und Interessen. Jeder Mensch ist auf seinem persönlichen Weg und wählt diesen selbst aus“, schreibt der Verein auf seiner Homepage. „Uns ist bekannt, dass im Internet unterschiedliche Ansichten zum Thema Familienlandsitze kursieren. Jeder Mensch soll sich seine eigene Meinung bilden. Informationen von Dritten, sowie auch unsere eigenen persönlichen Ansichten, sollen konstruktiv-kritisch hinterfragt werden.“

Selbstkritischer Diskurs

Und so entscheidet sich der Vorstand dazu, konstruktiv-kritisch zu hinterfragen und mit der Festivalteilnahme die Möglichkeit zum Dialog wahrzunehmen. Gleichzeitig bietet er eine Alternativakkreditierung an einem anderen Ort an und lässt es den Studierenden frei, wo sie ihre Abschlusspräsentation halten möchten. Damit die Themen Rassismus und totalitäre Ideologien während des Festivals ganz konkret zur Sprache kommen können, moderiert Vereinspräsident Anton Küchler eine Debatte, die der integrativen, aber auch selbstkritischen Diskurskultur innerhalb der Permakultur-Bewegung gerecht werden will. „Die Diskussion wurde engagiert geführt und wir danken allen, die sich beteiligt haben“, sagt Küchler in einer Stellungnahme des Vereins. Dennoch gestaltete sich das gemeinsame Reflektieren schwierig. Obwohl einige der zentralen Buchstellen zitiert wurden, sei für einige der Familienlandsitzvertreter der Zusammenhang mit Antisemitismus nicht gegeben. „Wir verstehen, dass es für Menschen, die sich mit der Anastasia-Bewegung identifizieren, unangenehm ist, wenn der Finger auf brisante Themen gelegt wird. Wir glauben aber nicht, dass der Abwehrreflex, der zu spüren war, zielführend ist. Viel sinnvoller erscheint uns eine klare Distanzierung von den betreffenden Inhalten“, so Küchler. Es gehe nicht darum, die Bücher als Ganzes abzulehnen, sondern differenziert eine klare Haltung zu diesen Passagen zu haben.Dies wünschen wir uns vom Verein Familienlandsitze Schweiz ebenso wie von anderen Gruppen und Einzelpersonen, die den Begriff Permakultur verwenden“, so Küchler.

Das Muster erkennen

In der Permakultur geht es darum, die Welt um uns herum zu beobachten und Muster und Rhythmen in allen Aspekten unseres Lebens zu erkennen. Rassismus ist so ein Muster. Wenn wir die Existenz dieses Musters ignorieren, dann können wir uns nicht mit dessen Konsequenzen auseinandersetzen und so gestalten, dass es entschärft wird. Ähnlich einer Sektorenanalyse: Wenn wir wissen, wie und woher der Wind in unser System weht, dann können wir mit ihm arbeiten. Und entscheiden, ob wir ihn hereinlassen oder eben nicht. Denn manchmal ist generelles Integrieren statt Abgrenzen eben nicht das richtige Prinzip. Toleranz ist keine gute Antwort auf Intoleranz. Das schrieb schon der Philosoph Karl Popper und nennt es das Toleranz-Paradoxon: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“

Erkennen wir also das Muster des Rassismus und ignorieren es nicht einfach, so können wir versuchen, es zu entschärfen. Ähnlich wie wir einen kalten Winterwind abfangen würden. Denn das Muster von Rassismus beziehungsweise allgemein von Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität oder Religion zu ignorieren, führt sicher weder zu einer dauerhaften menschlichen Kultur noch zu einem widerstandsfähigen System, in dem alle gut leben können.

Als Verein möchten wir Sorge für die Menschen tragen. Deshalb wurde im Frühjahr 2021 eine Arbeitsgruppe zu Rassismus und totalitären Ideologien in der Permakultur gegründet. Diese soll auch als Gedächtnis des Vereins funktionieren, um bei einem wechselnden Vorstand auf bereits geführte Diskussionen hinweisen zu können.

 


Die im Text erwähnte Stellungnahme des Permakultur Instituts findet sich auf: https://www.permakultur.de/neuigkeit/anastasia-und-familienlandsitzbewegung

Verein Permakultur Schweiz: https://permakultur.ch/

 

 

Nach oben