2004 waren Perrine Bulgheroni und Charles Hervé-Gruyer mit ihrem Hof in der Normandie gestartet, heute orientieren sich in Frankreich 80 Prozent aller Marktgartenprojekte an der Mikrofarm von Bec Hellouin. Das Paar hat im Lauf der Jahre aus vielen verschiedenen Ideen sowohl traditioneller als auch moderner Art die »Écoculture« entwickelt. Sie kombiniert Methoden aus Permakultur, Agrarökologie und Agroforstwirtschaft. Die Gemüseproduktion des Hofes übersteigt den nationalen Durchschnitt in der mechanisierten Landwirtschaft um ein Vielfaches und kommt mit nur geringem Einsatz fossiler Energieträger aus. Stephanie Rauer sprach mit Perrine Bulgheroni über das Wirtschaften durch die sich verändernden Jahreszeiten und die Herausforderung, sich an unvorhersehbare Wetterereignisse anzupassen.
Stephanie Rauer: Ihr seid viel gereist, Du als international tätige Anwältin, Charles als Seefahrer und Forscher. Doch beide habt Ihr von einem sesshaften Leben geträumt, von Selbstversorgung, vom Leben auf dem Land, von Sonne und Regen auf der Haut. Mit viel Idealismus und wenig Vorkenntnissen seid Ihr 2004 auf einen Hof in der Normandie gelandet. Inwieweit passt die Realität zum damaligen Traum?
Perrine Bulgheroni: Der Traum, den wir ursprünglich hatten, wurde schnell von der Realität eingeholt. Naturnah zu leben, in Verbindung mit Tieren und im Einklang mit unserer ursprünglichen Vision, das ließ sich verwirklichen. Aber wir hatten unterschätzt, dass die Wirtschaftlichkeit ein wichtiger Teil des Bauernberufs ist. Jahrelang mussten wir darum kämpfen, nicht nur Kenntnisse über Pflanzen, Boden und unsere Umwelt zu erwerben, sondern auch das Handwerk des Gemüsegärtners zu erlernen und unsere Produkte zu vermarkten. Die Permakultur hat uns ermöglicht, unseren Traum mit der Realität in Einklang zu bringen – viel auf kleiner Fläche von Hand zu produzieren und damit einen möglichst positiven Einfluss auf das Ökosystem "Farm" und die umliegenden Ökosysteme zu haben.
Ihr inspiriert viele Menschen, steht mit Eurer Farm in Bec Hellouin oftmals im Rampenlicht und seid von den einstigen Anfängern zum Forschungsobjekt für produktiven und naturgerechten Landbau geworden. Wie fühlt sich das an? Wie hat sich dadurch Euer Leben verändert?
Ich glaube, wir sind uns dieses Drucks bewusst. Die tägliche Arbeit mit der Erde ist eine Leidenschaft und zwingt uns zur Demut. Sie erlaubt, sich zu regenerieren und unsere Gedanken zu ordnen, wenn wir versucht sind, uns von der Medienaufmerksamkeit beeinflussen zu lassen. Heute haben wir eher eine Rolle als "Großeltern" der Bewegung, in der wir andere, die mutig das Abenteuer wagen, ausbilden und ihnen Ratschläge geben.
Auch Ihr habt Euch von vielen verschiedenen Menschen inspirieren lassen, so zum Beispiel von Eliot Coleman mit dem Konzept der "Four Season Farm". Kannst Du beschreiben, was Ihr bei Euch umsetzt?
Wir haben auf der ganzen Welt gesucht und bei uns in Frankreich völlig vergessene Kenntnisse und Fertigkeiten wiedergefunden wie die Pariser Marktgärtnerei des 19. Jahrhunderts. Paradoxerweise war es Eliot Coleman, dem es von den USA aus gelang, diese Methode zu dokumentieren und teilweise anzuwenden. Er war es, der uns auf die Spur von Praktiken brachte, die hier in Vergessenheit geraten waren. Außerdem habe ich versucht, möglichst viele Informationen über fermentierte Präparate in Asien zu finden, zum Beispiel zu Bokashi und Korean Natural Farming. Auf der Grundlage dieses jahrtausendealten Wissens haben wir eine Methode entwickelt, die unseren Wünschen und den lokalen Bedingungen entspricht.
Wie sieht Euer Garten im Winter aus? Kannst Du uns mitnehmen auf einen imaginären Erntespaziergang?
Im Winter sieht der Hof genauso schön aus wie zu den anderen Jahreszeiten. Das von uns etablierte Design behält durch das Jahr charakteristische Elemente, so als würden sie Wache halten. Wenn die Bäume ihre Blätter verloren haben, bleiben die Gärten und ihre Böden bedeckt, mit etwas Gemüse wie Lauch, Kohl, Spinat und Feldsalat - oder mit Mulch und Gründünger. Wenn die Landschaft vielfältig ist, ist sie zu jeder Jahreszeit schön. Im Winter trifft die Sonne am frühen Morgen den aufsteigenden Nebel über den Tümpeln.
Diese Stimmung hält jedoch nur wenige Stunden an, um im Laufe des Tages einem klaren Licht zu weichen.
Starkregen, Dürre im Sommer, milde Winter, ausbleibende Fröste. Die klimatischen Veränderungen tragen dazu bei, dass sich das Gartenjahr und die Anbauplanung verändern. Das bringt neben Herausforderungen auch neue Chancen für den Anbau von Obst und Gemüse in unseren Breitengraden. Konntet Ihr in den vergangenen Jahren Veränderungen in Bezug auf die Bedingungen feststellen?
Die deutlich zu beobachtenden Klimaschwankungen sind eine echte Herausforderung in unserem Beruf. Wir wissen nicht mehr, wann die Jahreszeiten beginnen und wann sie enden! Extreme Wetterereignisse sind häufiger und treten zu Zeiten auf, in denen man sie nicht erwartet. Daher können die Auswirkungen auf Gemüsekulturen mit kurzem Zyklus dramatisch sein. Wir sind nie vor einem Spätfrost sicher, der alle Tomaten schädigt, selbst wenn sie im Mai im Gewächshaus stehen. Oder ein früher Frost im September, der die Kürbisernte beeinflusst oder die Süßkartoffelernte vernichtet. Obwohl die Normandie bekannt ist für ihren Regenreichtum, sind in den letzten Jahren aufgrund wiederholter Dürreperioden und extremer Hitze im Sommer Bäume abgestorben. Es ist kompliziert, sich anzupassen, wenn diese Phänomene jederzeit eintreten können. Ich träume davon, Mangos anzubauen. Aber trotz der Veränderungen bleibt der Winter ein Winter und die Anpassung daran ist nicht einfach, weil die Erwärmung nicht linear verläuft.
Welche Experimente und Erfahrungen habt Ihr gemacht, um diesen Veränderungen zu begegnen? Welche Strategien funktionieren?
Es ist noch viel zu früh, um zu sagen, was funktioniert. Kein Jahr gleicht dem nächsten. Anpassungsstrategien sind daher nicht einfach umzusetzen. Was jedoch funktioniert, ist die Logik der Natur zu respektieren, an die uns die Permakultur erinnert: Den Boden nie unbedeckt lassen; die Produktionsflächen als Ökosysteme betrachten; Bäume pflanzen, die die besten Heizungen und Klimaanlagen sind; die Biodiversität der Flächen gewährleisten; mit dem Wasser in all seinen Dimensionen wirtschaften. Je mehr Bäume und je größer die Vielfalt, desto besser gelingt es, das Gleichgewicht bei Dürren, Überschwemmungen oder anderen drastischen und plötzlichen Wetterereignissen aufrechtzuerhalten.
Liebe Perrine, vielen Dank, dass Du Dir Zeit für dieses Gespräch genommen hast!
Perrine Bulgheroni widmet sich heute der Unterstützung in Gründung befindlicher landwirtschaftlicher Betriebe. Sie gibt ihre Erfahrungen in Kursen weiter und arbeitet am Modell eines neuartigen Genossenschaftsbauernhofes, der die langfristige wirtschaftliche Lebensfähigkeit durch alle Arten von Krisen hindurch gewährleisten soll. Infos zur Mikrofarm Bec Hellouin: fermedubec.com
Bücher von Perrine Bulgheroni und Charles Hervé-Gruyer:
»Unser Leben mit Permakultur«. Löwenzahn-Verlag, 2023, 304 Seiten, ISBN 978-3-7066-2976-8.
»Vivre avec la Terre«: Handbuch in drei Teilen. Actes Sud, 2019, 1043 Seiten, französisch, ISBN 233011947X. Erster Teil auch auf Englisch: »Living with the Earth«, Permanent Publications, 2023, ISBN 9781856232609.