Autark in der Krise: unser kleines Selbstversorger-Projekt in Siebenbürgen

Die ganze Welt ist heute vernetzt: Waren- und Menschenströme umspannen den Globus und während der Transport nur noch einen Bruchteil der Gesamtkosten eines Produkts ausmacht, verdrängen Online-Riesen wie Amazon den klassischen Einzelhandel. Doch ist es wirklich die ganze Welt? Nein, ein kleines Dorf unbeugsamer Siebenbürger leistet erfolgreich Widerstand gegen die Moderne. Seit 2015 sind wir ein Teil davon und erleben ein vielseitiges Zusammenspiel aus alten Lebensweisen und autarken Systemen. Permakultur trifft Tradition, versteckt in einem kleinen Tal in Transsylvanien. Wir nehmen euch mit auf eine Zeitreise.


Wir sind ein Familienbetrieb: Ioana, Dhalia und Andreas vor der strohgedeckten Scheune die wir mit euch retten wollen.

Der stolze Schnapsbrenner Ion vor seiner handgefertigten Destille im Holzschuppen.

Während das Gras mit der Sense geschnitten wird, lösen teils Traktoren den Ochsenpflug und Pferdewagen ab.

Die inoffizielle Einweihung unseres Blockbohlenhauses nach unserer Hochzeit im Frühling 2019.

von Andreas Pohl

Es war einmal zu Uropas Zeiten

Zuhause an der Wand meines Arbeitszimmers in Deutschland hängt der Bauernkalender für die Familie. Über einem Spruch wie „Donner im April / viel Gutes verkünden will“ malt ein bunt-naives Bildchen jene Idylle aus, wie sie zu Uropas Zeiten auch hierzulande noch geherrscht haben muss. Vor einem Fachwerkhaus hängt eine drollige Hausfrau mit buntem Kopftuch die Wäsche auf, während ihr kräftiger Ehemann mit einem Ochsengespann das Feld pflügt. Im Hintergrund eine strohgedeckte Scheune, Hühner laufen den vereinzelt grasenden Kühen zwischen den Beinen umher. Wie zum Leben erweckt scheint diese Traumwelt, wenn ich im Frühling mit meiner rumänischen Frau Ioana und unserer gemeinsamen Tochter Dhalia wieder in ihr Heimatdorf reise. Wir werden von ihrer Mutter am verwitterten Eingangstor zum Hof empfangen, dessen Aufbau sich seit Urgroßvaters Zeiten kaum verändert hat. Links, in der früheren Sommerküche, befindet sich inzwischen zwar ein Badezimmer, jedoch ohne Toilette. Ioanas Großvater – er hat das Tal in seinen 93 Lebensjahren nur zweimal verlassen – findet den Gedanken, sein Geschäft im Haus zu verrichten, zu ekelhaft. So gehen wir bis heute, wie 90% des Dorfes, auf das allseits beliebte Plumpsklo. Gegenüber der alten Sommerküche leben wir in einem für diese Region typischen Bauernhaus mit blau getünchtem Kalkputz und breiter Eichenholzveranda. Im Hintergrund steht tatsächlich auch noch die frühere Viehscheune, strohgedeckt versteht sich. Bis wir im Herbst wieder die Heimreise antreten leben wir in einer Welt, in der die Zeit vor ein oder zwei Jahrhunderten stehengeblieben scheint.

Selbstverständlich Selbstversorger

Dass man zumindest einen Teil seiner Grundnahrungsmittel selbst anbaut, ist hier ganz normal. Jeder hat einen kleinen Gemüsegarten, die Mehrheit zumindest einige Hühner, und viele mehrere Milchkühe, Ziegen oder Schweine. Und natürlich Obstbäume. Die Vielfalt der alten Sorten ist hier besonders beeindruckend und ich schätze mich sehr glücklich, dass meine Schwiegermutter bereits seit langem auf eine Erhaltung derselben achtet. Das Leben hier ist bestimmt durch den Wechsel der Jahreszeiten. Nach einem ruhigen Winter folgt ein arbeitsreicher Frühling und Sommer auf dem Felde, gefolgt von einem noch intensiveren Herbst. Und dann geht es ans Eingemachte! Ernten, Einkochen, Schlachten und – last but not least – Brennen: Schnapsbrennereien gibt es im kleinen Dorf Posaga mindestens fünf. Sie werden versorgt mit Äpfeln und Pflaumen der Nachbarn, in zwei Runden gebrannt, um dann die kalten Winterabende am Kamin etwas angenehmer zu gestalten – vorausgesetzt, nach den zahlreichen Herbstfesten ist noch genügend vorhanden.

Unser kleines Projekt

Meine Frau Ioana empfindet schon seit vielen Jahren eine große Leidenschaft für ihr Heimatdorf und teilt diese auch mit der Welt. In Form zweier Dokumentationen und zahlreicher Clips auf YouTube, später aber auch mit Workshops für Besucher. Seit ich sie durch einen glücklichen Zufall kennenlernen durfte, teilen wir diese Passion. Ich war ab meinem ersten Besuch des Dorfes wie verzaubert von dieser Parallelwelt. 2015 fingen wir dann an, uns ernsthafter mit der eigenen Zukunft, aber auch der dieser kleinen Gemeinschaft in den Karpaten zu beschäftigen. Das Dorf überaltert, viele junge Menschen ziehen fort. Wie können wir diesen magischen Ort auch für unsere Tochter erhalten? Unsere Antwort: Gastwirtschaft und Entwicklung. Was Ioana bereits mit Workshops begonnen hatte entwickelten wir nun weiter, und 2019 konnten wir unser selbst(mit)gebautes, ökologisches Blockbohlenhaus einweihen. Dank ihm sind wir nun nicht nur hinsichtlich unserer Ernährung unabhängig von langen Transportwegen und undurchsichtigen Produktionsbedingungen, sondern leben auch energieautark mit eigener Solarstromversorgung und einem Brunnen. Mit unseren Gästen (wir waren zu fast 100% ausgebucht) durften wir zahlreiche tolle Trips unternehmen, stets mit dem Fokus, ihnen das traditionelle Dorfleben und unsere Prinzipien der Nachhaltigkeit näher zu bringen. Für die kommende Saison hoffen wir nun auf eine frühestmögliche Entspannung der Pandemie, um erneut zahlreichen Gästen unser kleines Paradies zu zeigen. Bis dahin könnt ihr es euch im Web anschauen, unter bio-retreat.de.

Faszination und Verpflichtung

Was die Faszination ausmacht, ist zuallererst die Natur: Obwohl wir nur eineinhalb Stunden von der modernen Großstadt Cluj Napoca entfernt sind, befinden wir uns bereits mitten in der Abgeschiedenheit der Westkarpaten und am Rande eines Naturschutzgebietes. Die Flora und Fauna hier ist europaweit einzigartig, denn dazu gehören zahlreiche seltene Pflanzen, Insekten und, mit zunehmender Entfernung zum Dorf, auch immer mehr große Wildtiere bis hin zu Bären. Zum anderen ist es jedoch auch die Kultur, Architektur und Traditionen, die sich hier, durch den Schutz der Karpaten, wie in einer Zeitkapsel konserviert haben. Seit Jahrhunderten leben die Menschen hier im Einklang mit der Natur, pflegen traditionelle Handwerke und schätzen „echtes“ Essen. Ioanas Großvater verweigert bis heute Essen aus dem Supermarkt, und selbst der Mais seiner Polenta stammt nach wie vor aus dem Dorf – und von dem Samen, die er seit seiner Kindheit nutzt. Wir genießen unsere Monate hier und lieben es, anderen unsere Begeisterung weiterzugeben.

Darin steckt aber auch eine Verpflichtung, der wir jedes Jahr aufs Neue nachkommen wollen: Dieses Jahr haben wir es uns zum Ziel gesetzt, ein Stück der regionalen Kultur vor dem Verfall zu schützen. Die strohgedeckte Scheune, der wir vorhin begegnet sind, ist eines der charakteristischsten Überbleibsel der traditionellen Dorfarchitektur und droht doch, in Vergessenheit zu geraten. Mit der Abwanderung der Landbevölkerung verwaisen viele Höfe, und die alten, aufwendig zu erhaltenden Strohschuppen verfallen als erste. Auch das Dach unseres Schuppens ist bereits stark angeschlagen, einige Hölzer sind bereits morsch. Aber noch ist es nicht zu spät, zu handeln: Zumindest einige wenige Handwerker, die sich mit dem Decken der Scheunen auskennen, gibt es noch – und diese Chance wollen wir nutzen.  In Form eines Workshops wollen wir, zusammen mit einem Fachmann und Freiwilligen, dieses Stück lokaler Kultur für kommende Generationen erhalten. Für die Unterstützer, besonders jene die vor Ort mithelfen, wird dies ein ganz besonderes Erlebnis. Es ist nicht nur die Möglichkeit, ein beinahe ausgestorbenes Handwerk live zu erleben, während ihr dem Dorf einen seiner architektonischen Schätze erhaltet. Ihr begebt euch gleichzeitig auf eine Zeitreise in eine heile Welt, wie sie nur noch an ganz wenigen Orten dieser Erde existiert.

 


Andreas Pohl ist studierter Nautiker mit Praxiserfahrung in der Seenotrettung und der Segelfrachtschifffahrt. Mit der Geburt seiner Tochter 2016 verschob er seinen Fokus komplett auf das nachhaltige Gästeprojekt Dupa Gard, welches er zusammen mit seiner Frau Ioana 2015 in den rumänischen Westkarpaten begonnen hat.


Ionia auf YouTube: https://www.youtube.com/user/jjfilmsandculture
Gästeprojekt Dupa Gard: bio-retreat.de

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