Angemessene Technologie im Ökodorf

Welche Technologien sind sinnvoll, um wirklich ökologisch und nachhaltig zu leben? Das Ökodorf Sieben Linden lebt es vor – ganz nach dem Motto „So groß wie nötig, aber so klein wie möglich“.


Angemessene Technologie im Ökodorf Sieben Linden

Angemessene Technologie im Ökodorf

Solardusche mit Wärmespeicher im Turm, Ökodorf Sieben Linden

Solardusche mit Wärmespeicher im Turm

Strohballenwohnhaus "Libelle" im Ökodorf Sieben Linden

Strohballenwohnhaus "Libelle" im Ökodorf Sieben Linden

Strohballenwohnhaus mit modernem Holzfachwerk, Ökodorf Sieben Linden

Strohballenwohnhaus mit modernem Holzfachwerk

Als gelernter Ingenieur für erneuerbare Energietechnik war ich vom Anblick der vielen Strohballenhäuser, Solaranlagen und Kompostklos sehr angetan, als ich zum ersten Mal das Ökodorf Sieben Linden betrat. Es war ein heißer Tag im August. Nachdem mir der Zeltplatz und die Solardusche gezeigt wurden, freute ich mich auf eine erfrischende Dusche und war erstaunt über die zwar rustikal anmutende aber doch professionelle Ausführung der Anlage. Anfang des Jahrtausends vom Warmduscher*innenkollektiv aus Berlin gebaut und seit vielen Jahren in Benutzung, ist diese Anlage ein Paradebeispiel für angemessene Technologie: Nur mit der Energie der Sonne wird hier Tag für Tag heißes Duschwasser für die zeltenden Besucher*innen bereitgestellt. Der Wärmetauscher aus Kupfer wie auch der Kollektor und die ganze Holzkonstruktion wurden handgefertigt. Mit dem Warmwasserspeicher auf einem Turm wird der Thermosiphoneffekt genutzt (das warme Wasser zirkuliert ohne den Einsatz von elektrischen Pumpen). Der Wartungs- und Bedienaufwand ist minimal und repariert werden kann die Anlage vor Ort mit verfügbaren Werkzeugen.

Mit wenig auskommen und eine hohe Lebensqualität gewinnen

Eine anschließende Führung zum Thema Energie mit Werner Dyck, der zusammen mit dem Permakulturgestalter Martin Stengel maßgeblich bei der Entwicklung des Energiekonzepts im Ökodorf beteiligt war, bestätigte meinen Eindruck: hier wurde viel richtig gemacht. Das Ökodorf Sieben Linden hatte sich bei der Gründung das Ziel gesetzt, einen großen Teil des Energieverbrauchs zu reduzieren. Deshalb spielen die Themen Energieeinsparung und -erzeugung, damals wie heute, eine zentrale Rolle im Dorfaufbau. Die Rohstoffkreisläufe möglichst zu schließen ist ein weiteres Merkmal dieses Energiekonzepts.

Zuallererst steht die Senkung des Verbrauchs im Fokus: Neubauten werden mit hohen Dämmstandards hauptsächlich aus ökologischen Materialien wie Stroh, Holz und Lehm gebaut, Autos werden gemeinschaftlich genutzt, Wasserkocher verschmäht und die Wohnfläche pro Person begrenzt. Der übriggebliebene Wärme- und Strombedarf wird mit Holzöfen und Photovoltaikanlagen selbst erzeugt. Dies ermöglicht ein ziemlich gutes Leben mit einem, im Vergleich zum Durchschnitt, sehr reduzierten ökologischen Fußabdruck.

Häuser aus Stroh, Lehm und Holz

Im Ökodorf Sieben Linden stehen mittlerweile 14 Strohballenwohnhäuser und ein neues Gästehaus in dieser Bauweise wird demnächst eingeweiht. Die Statik wird durch ein modernes Holzfachwerk gewährleistet. Für die Wärmedämmung in den Außenwänden und im Dach werden Strohballen genutzt. Lehmputz sorgt für Luftdichtigkeit – diese ist wichtig für einen niedrigen Wärmebedarf und ein gesundes Raumklima. In Baustoffen wie Holz, Stroh und Lehm steckt, im Gegensatz zum im üblichen Hausbau genutzten Beton, viel weniger Herstellungs- und Transportenergie.

Die Warmwasser- und Heizwärmeversorgung erfolgt ausschließlich und sehr zufriedenstellend über Sonnenkollektoren in Kombination mit Holzvergaserkesseln und Stückholzöfen. Das Holz wird vorwiegend im eigenen Waldbestand geschlagen. Dieser wird danach wieder aufgeforstet und dadurch von dem vorherrschenden Mono- zum Mischkulturwald umgebaut. Solare Architektur, beispielsweise mit nach Süden ausgerichteten Wohnräumen mit großen Fenstern, ermöglicht die passive Nutzung von Sonnenenergie. Aufgrund dieser Maßnahmen entspricht der Wärmeenergieverbrauch der Ökodorfeinwohner*innen nur zwei Drittel des Bundesdurchschnitts und wird darüber hinaus komplett mit erneuerbarer Energie erzeugt.

Komposttoiletten

Die mit dem Gemüse dem Boden entnommenen Mineralien, Struktur- und Nährstoffe werden in Sieben Linden durch Komposttoiletten weitergenutzt: Vom Menschen ausgeschiedene Rohstoffe werden gesammelt und in einer behördlich genehmigten zentralen Kompostierungsanlage über mehrere Etappen kompostiert und danach im Wald und im Obstbau zur Düngung verwendet. Süßwasser ist knapp – auch die unnötige Verschmutzung des Abwassers mit Fäkalien wird durch Nutzung von Komposttoiletten vermieden.

Pflanzenkläranlage

Das Wasser aus Duschen, Pissoirs und Küchen (Grauwasser genannt)wird in einem Schilfbeet durch Bakterien gereinigt, wie an einem natürlichen Fluss- oder Seeufer. Anschließend wird es an mehreren Stellen in Gemüse- und Blumengärten, sowie im Wald genutzt und kann dort versickern. So wird der natürliche Wasserkreislauf auf dem Gelände des Ökodorfes sichergestellt und der Verbrauch von Leitungswasser zum Gießen enorm reduziert.

Die Technik ist keine Lösung für die Probleme der Technik

In Bezug auf Technik und Energie sind mir im Laufe meines Berufslebens schon viele vermeintliche Lösungen begegnet, die zwar gut gemeint, aber dann eben nicht gut gemacht, sprich geplant und ausgeführt, waren. Entweder funktionierten sie mehr schlecht als recht oder waren nicht mehr in Betrieb – sei es, weil ihre Defekte nicht mehr repariert wurden oder weil die Bedienung zu aufwendig oder kompliziert war.

Der Ressourceneinsatz in den Bereichen Energie und Technologie ist meist enorm. Die Entscheidung, welche Technologie zum Einsatz kommt, entscheidet somit maßgeblich über die Energiebilanz des ganzen Projekts! Wie treffe ich eine gute Entscheidung – nicht nur technisch, sondern auch hinsichtlich sozialer und kultureller Aspekte? Hier kann ein Permakulturansatz gepaart mit dem Konzept der angemessenen Technologie weiterhelfen.

Permakultur gibt keine fertigen Antworten, sondern hilft durch bewusste Gestaltungsüberlegungen, die richtigen Fragen zu stellen und durch Nutzung von Prinzipien und Methoden angemessene Lösungen für den konkreten Ort und deren Lebewesen zu finden.

Angemessene Technologie (englisch: Appropriate Technology) befasst sich mit der technologischen Auswahl und Anwendung von kontextbezogenen Lösungen. Sie soll möglichst kleinräumig, für Einheimische erschwinglich, dezentral, energieeffizient, umweltverträglich und lokal autonom sein. Ursprünglich vom Ökonomen Ernst Friedrich Schumacher in seiner Arbeit „Small Is Beautiful“ als Zwischentechnologie artikuliert und als menschenzentriert definiert, wird angemessene Technologie eingesetzt, um Probleme in einer Vielzahl von Bereichen anzugehen. Heutzutage wird angemessene Technologie häufig unter Verwendung von Open-Source-Prinzipien entwickelt.

 

Auch in vielen Permakulturprojekten taucht immer wieder die Frage auf, welche Technologie für das Projekt angemessen ist. Wie also können wir als Gestaltende aus einer Vielzahl von Möglichkeiten die passenden Technologien für unsere Projekte finden? Die Kombination von Fachwissen, Permakulturmethoden und dem Konzept der angemessenen Technologie gibt hierzu die passenden Antworten.

 


Ben Reule ist Permakulturgestalter sowie Ingenieur für erneuerbare Energietechnik und hat eine eigene Webseite (www.barefootengineer.de).

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