Ab in die Tüte

Erfahrungen vom Samen anbauen und Tauschbörsen organisieren


Samentauschbörse in Luzern 2018 im ehemaligen Hallenbad, dem Netzwerk Neubad

Samentüten aus Altpapier einfach selber herstellen. ® Julia Barandun

von Karin Roth

Das Gartenjahr bringt für mich nicht nur Säen, Jäten oder Kompostieren. Auch der Samenbau gehört immer dazu: Die Auswahl des Saatguts oder das Beobachten der Blütenstände im Frühling, das Schütteln der Selbstbestäuber oder das Selektionieren der Mutterpflanzen im Sommer, das Ernten, Dreschen und Reinigen der Samen im Herbst, das alles sind wiederkehrende Tätigkeiten in meinem Garten. Die so gewonnenen Samen von Tomaten, Mariadistel oder Mangold landen dann, sauber verpackt und beschriftet in kleinen Tüten aus Altpapier, in meiner Samenkiste.

Für den Erhalt der Vielfalt

Dass die meisten Menschen ihre Samen im Handel kaufen, ist eine recht junge Entwicklung. Und auch wenn es sich dabei um Bio-Saatgut oder um seltene Sorten handelt, ist diese Entwicklung für mich mehrfach problematisch. Einerseits bringt sie eine Verarmung der Sortenvielfalt und eine Standardisierung mit sich. Die Sorten sind nicht mehr an lokale Verhältnisse angepasst und das Angebot folgt der kommerziellen Nachfrage. Viele alte und lokale Sorten gehen verloren, ebenso das Wissen um die Saatgutgewinnung. Schliesslich begeben wir uns als Gärtnerinnen und Gärtner in die Abhängigkeit derer, die Saatgut produzieren.

Saatgut ist Allgemeingut, und das Ziehen der eigenen Samen war schon immer ein fester Bestandteil der Garten- und Landwirtschaft. Vor allem macht das Ernten und Reinigen von Saatgut Freude! Es ist zwar aufwändig, gelingt aber mit etwas Übung immer besser. Pflanzen produzieren ihre Samen im Überfluss und ich fülle meine Samenkiste im Herbst möglichst für mehrere Jahre auf. Vor allem aber lege ich  einen Teil zum Tauschen beiseite.

Tauschbörsen organisieren!

Es ist erfreulich, dass seit einigen Jahren immer mehr Samentauschbörsen stattfinden. Damit tragen wir zum Erhalt seltener und lokaler Sorten bei. Und indem wir uns vernetzen, pflegen und verbreiten wir das Wissen um die Saatgutgewinnung und verringern unsere Abhängigkeit von kommerziellen Saatgutbetrieben.

Meiner Erfahrung nach sind Tauschbörsen immer auch soziale Projekte. Darin steckt viel Sensibilisierungsarbeit zu den Themen Biodiversität, Saatgutmonopole oder nicht sortenrein vermehrbare Züchtungen. Wir bei Permakultur Schweiz wollen langfristig Samenbewahrerinnen und Pflanzenzüchter gewinnen, die mehr und mehr Saatgut eigener „Haussorten“ produzieren und das Wissen um deren Vermehrung teilen. Mit dem Tauschen wächst die Vielfalt dann von allein.

Das Organisieren einer Börse ist keine Hexerei. Es braucht einen wind- und wettergeschützten Ort mit gutem Licht. Es lohnt sich, bestehende Infrastrukturen anzufragen und zusammenzuarbeiten. Ideal sind Bibliotheken, Museen oder andere Veranstaltungsorte, wo auch öffentlich zugängliche Samenbibliotheken angelegt werden können. Für Werbung und Sensibilisierungsarbeit sind bestehende Netzwerke und Organisationen wie etwa Pro Specie Rara oder Bioterra sehr hilfreich.

Regeln fürs Tauschen

Wichtig sind ein paar Grundregeln, die vor Beginn kommuniziert werden sollten: Getauscht wird eigenes und chemisch unbehandeltes Saatgut, sowie allenfalls gekauftes Bio-Saatgut. Wir tauschen kein Hybridsaatgut (F1), das nicht sortenrein weitervermehrt werden kann, keine invasiven und wuchernden Pflanzen und kein Saatgut aus dem Supermarkt, dessen „Eltern“ unbekannt sind.

Ein geeigneter Zeitpunkt sind Samstage oder Sonntage in der zweiten Februarhälfte oder im März. Als Zeitrahmen haben sich zwei bis drei Stunden bewährt. Die fünf bis acht Tische zum Auflegen des Saatguts können pflanzenspezifisch angeschrieben werden: Blumen, Gemüse, Tomaten, Gründüngung usw. So wissen alle, die die Tauschbörse besuchen, wo sie ihre Samen hinlegen können und wo sie neue Sorten finden. Um alles in kleinen Portionen verpacken zu können, eignen sich vorbereitete Samentüten aus Altpapier – zusammen mit Schreibstiften in genügender Menge bereitgestellt. Wertvoll ist auch eine Ecke mit interessanten Büchern und Magazinen zum Thema. Ebenso wichtig sind auskunftsfreudige Personen, die Fragen beantworten und etwas zur Reinigung von Saatgut erzählen können.

Tauschbörsen sind prinzipiell kostenlos. Wer nichts zum Tauschen hat, erhält Saatgut gegen eine Spende, die der Organisation der Börse zugutekommt.

Über etwas Altpapier zusammensitzen

Eine gute Gelegenheit zum gemeinsamen Falten von Samentüten ist ein Permakultur-Regiotreffen zu Beginn des Jahres. Beim Falten besprechen wir jeweils die Details zur Samentauschbörse, erzählen von unseren Gartenprojekten und entwickeln gemeinsam neue Ideen. Das Zusammensein motiviert und mobilisiert. Und mit unseren selbstgemachten, hübschen Recycling-Tüten freuen wir uns auf die Tauschbörse.

 


Karin Roth ist Permakultur-Designerin, Sortenbetreuerin von ProSpecieRara und Sozialpädagogin. Sie hat die Samentauschbörsen Luzern und Chur initiiert, die Permakultur-Regiogruppe Graubünden ins Leben gerufen und engagiert sich im Verein Permakultur Schweiz für die Regiogruppen-Koordination.

 

Partnerorganisationen für Samentauschbörsen:

Pro Specie Rara www.prospecierara.ch, www.prospecierara.de

Bioterra www.bioterra.ch

Arche Noah www.archenoah.at

 

Literatur und Filme zum Thema Saatgut:

Handbuch Samengärtnerei: Sorten erhalten. Vielfalt vermehren. Gemüse geniessen. (Andrea Heisting, Arche Noah, Pro Specie Rara, 2021)

Saatgut ist Gemeingut, Lehrfilme zur Samengärtnerei. (Longo maï, www.diyseeds.org/de/films)

Seed – unser Saatgut: Wir ernten was wir säen. (Film von Taggart Siegel und Jon Betz, 2018)

Das Saatgut-Kartell (Film von 2020 zu finden als ZDFinfo Doku unter zdf.de)

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